Ein Jahr in New York
rauschten ignorant vorbei. Entweder waren sie „Off Duty“, also nicht im Dienst, oder es saß schon jemand drin. Das erkannte man schon aus der Ferne, weil das kleine Licht auf dem Dach nicht leuchtete. Dann konnte man sich seine Lungenkräfte gleich sparen. Das Taxi war besetzt. Echte New Yorker wissen das und schweigen mit Würde, während Touristen laut weiterschreien. Und wenn man dann endlich nach zehn Minuten einen Hoffnungsschimmer auf sich zufahren sah, half nur Beten. Meistens passierte Folgendes: Das Taxi war nur noch einen kurzen Block entfernt, plötzlich stürzte jemand aus dem Nichts auf die Straße und schnappte es einem vor der Nase weg. Ein Klassiker. Taxistände gibt es übrigens keine, und Anrufen geht auch nicht. Ja, und wenn’s regnete, dann blieb man am besten gleich zuhause. Im Regen ein Taxi zu erwischen war ungefähr genauso wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.
Und wenn dann tatsächlich ein gelber Schlitten anhält, bitte nicht zu früh freuen. „Williamsburg, please.“
„Nee, nach Brooklyn fahr ich heut nicht mehr, meine Schicht ist gleich zu Ende.“ Scheibe hoch, weg ist er. Manche antworten erst gar nicht. Schütteln nur mit dem Kopf und geben wieder Gas. Von wegen die Schicht ist gleich zu Ende. Die Cabbies haben ganz einfach keine Lust auf Brooklyn, weil man möglicherweise ohne Fahrgast rumkurvt, bis man wieder in Manhattan ist. Dafür hatte ich sogar ein klein wenig Verständnis, aber schließlich war das ihr Job. Und einen Fahrgast abzulehnen ist eigentlich nicht erlaubt. Vorschriften dieser Art funktionieren natürlich nur in der Theorie. In der Praxis sind den Taxifahrern Regeln ziemlich egal. Wenn man dann endlich in einem Taxi sitzt, geht das Abenteuer weiter.
91 Prozent der 44 000 Taxifahrer kommen aus aller Herren Länder, nur nicht aus Amerika. Immigranten aus Pakistan, Ghana und Polen. Verständigungsprobleme sind vorprogrammiert.
Natürlich gab es auch jede Menge Fahrer mit Hochschulabschluss. Der Professor aus dem Irak zum Beispiel, der mir auf der Fahrt von Midtown nach Brooklyn die politische Lage seines Heimatlandes besser erläutern könnte als jede amerikanische Tageszeitung. Und die Inder, in deren Radio grundsätzlich der Nachrichtensender BBC lief, waren informierter als die meisten Fahrgäste. Das waren die lehrreichen Fahrten.
Dann gab es die Sikhs, die mit ihren Turbanen am Steuer saßen, unter denen sich Ohrstöpsel versteckten. „Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?“, fragte ich zwei Mal. Keine Antwort. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass das monotone Säuseln da vorne nicht mir galt, sondern einem Familienangehörigen, der viele Tausend Kilometer entfernt am Telefon saß. Dann gab es Taxis, in die man einstieg und am liebsten sofort wieder ausgestiegen wäre. Offensichtlich hatte der Fahrer gerade ein schwer gewürztes, exotisches Mittagessen zu sich genommen. Sofort das Fenster runter.
Ja, und die irren Taxifahrer, die gab es auch. Die, die mit einem Affenzahn beschleunigten, nur um an der nächsten Ampel wieder ruckartig in die Bremsen zu springen. Meine Hand krallte sich an den Griff, während mich die Geschwindigkeit wie in einem Karussell in die Rücklehne drückte.
Nicht, dass ich in diesem Verkehrsdschungel meine Nerven behalten hätte. Jeden Tag zwölf Stunden auf den verstopften Straßen New Yorks, ehrlich gesagt, wer würde da nicht seinen Verstand verlieren.
In der U-Bahn blieb einem dieser Nervenkitzel erspart. Dachte ich. Dann begegnete ich dem ersten „Madman“, wie man die Wahnsinnigen hier nannte. Der Zug fuhr in die Station, und ich wunderte mich, dass alle Abteile zum Bersten voll waren bis auf das, das vor mir hielt. Ich stieg ein, die Tür schloss sich, und schon hörte ich die wütenden Schimpftiraden, die ein Mann durchs Abteil brüllte. Die wenigen Passagiere im Zug schauten betroffen zu Boden. Jedes zweite Wort war „Fuck“. Die Worte dazwischen waren ein undeutlicher Aggressions-Brei. In der nächsten Station eingetroffen, stand der Mann schon in der Tür, als er sich noch mal umdrehte, ein letztes Mal „Fuck“ schrie und mit voller Wucht gegen das Fenster schlug. Ich hielt die Luft an. Das Sicherheitsglas zersplitterte in tausend Teile, aber brach nicht. Wir atmeten alle zusammen erleichtert auf.
Einer dieser Menschen, die aus den Fugen geraten waren. Kollateralschäden einer Metropole, in der sich das Leben immer auf der „Fast Lane“, der Überholspur, befand. Man begegnete ihnen
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