Ein Jahr in Paris
wie eine Mischung zwischen der späten Liz Taylor und dem von Christo verpackten Pont Neuf. Marie-Line lächelt maliziös: „Monsieur wird begeistert sein.“
Nun also ich. Meine erste Kundin ist ein Mann. Er fühlt sich sichtlich unwohl, wie die meisten Männer, wenn sie von nichts anderem als Seidenhöschen und Spitzen-BHs umgeben sind. Wahrscheinlich haben sie Angst, jemand könnte sie für einen Spanner halten. Oder Schlimmeres. Ich kann Ihnen da nur versichern: Das Gegenteil ist der Fall. Wir freuen uns, wenn Sie Ihrer Frau / Freundin / Verlobten etwas Hübsches kaufen.
Meiner hier ist jedenfalls sehr nervös. Zwischen den Händen knautscht er eine zart fliederfarbene Seiden-Kombi, die ich ihm lieber schnell entwinde. Bevor er was kaputt macht. Leider hat er einen 36er Slip mit einem 95-C-BH kombiniert. Ich halte das für äußerst unwahrscheinlich, aber man weiß ja nie. „Eine gute Wahl, Monsieur“, sage ich. „Flieder ist der Top-Trend der Saison. Sind Sie sich mit der Größe sicher?“
„Äh, em, nun ja.“
Er hat keinen Schimmer. Ihn jetzt also bloß nicht überfordern. Auf keinen Fall nach der Konfektionsgröße fragen.
„Vielleicht beschreiben Sie mir einfach, wie Madame in etwa gebaut ist ...“
„Mademoiselle.“
Riesen-Fauxpas. Hoffentlich springt er jetzt nicht ab.
„Pardon ... wie Mademoiselle in etwa gebaut ist?“
Wir können hier abkürzen: Er macht ein paar vage Andeutungen und Gesten, ich tippe auf Größe 40 und 80 B und hoffe, dass Mademoiselle nicht aus allen Wolken fällt. Marie-Line hätte natürlich gleich gesehen, dass er keinen Ehering trägt.
„Ach, weißt du, da würde ich mich nie drauf verlassen.“ Sie wedelt abschätzig mit der Hand. „Bei den Jüngeren magst du richtig liegen. Aber es gibt genug Ehemänner, die hier ohne Ring auftauchen. Weil sie nämlich nicht auf dem Nachhauseweg sind.“
Sie scheint nicht weiter davon beeindruckt. Ich hingegen bin es schon. Eine typisch französische Reaktion, wie ich sie nie ganz durchschaue. Bis heute ist es mir unmöglich, vorherzusagen, wie ein französischer Gesprächspartner in moralischer Hinsicht reagieren wird. Über einen Ehebruch regt er sich nicht weiter auf, das Gesetz jedoch, das ihn verpflichtet, die Hinterlassenschaften seines Hundes vom Bürgersteig zu entfernen, kann zu wochenlangen Diskussionen führen. Man bekommt jeden Pfirsich in eine extra Plastiktüte gewickelt, aber wenn einen die Concierge dabei erwischt, dass man diese Unmengen Sondermüll nicht korrekt entsorgt, ist die Hölle los.
Ich rufe Georg an und erzähle ihm davon. „Was regst du dich auf?“, fragt er. „Das ‚duale System‘ haben die Franzosen von uns übernommen. Mal abgesehen davon: Bist du glücklich?“
Fiese Frage.
Ich sage jetzt nichts dazu. Sie hingegen haben inzwischen ein ungefähres Bild von allem, n’est-ce pas ? Die wichtigsten Leute haben Sie kennen gelernt. Monsieur Jacques stelle ich Ihnen später vor. Kommen wir zunächst zu etwas wichtigerem: Paris, die Stadt der Liebe.
Französisch für Anfänger III
Zum Sommer in Paris gehört der 14. Juli. Ein wichtiges Datum, will man die Franzosen verstehen. Im Zentrum steht das traditionelle Interview des Staatspräsidenten. Der 14. ist sein großer Tag. Er nimmt die alljährliche Militärparade entlang der Champs Elysées ab und wendet sich anschließend huldvoll dem Volke zu. Dazu ist das Fernsehen anwesend. Im Fauteuil Monsieur le Président, dazu einige Takte aus der Marseillaise. Kein Interview, bei dem die Journalisten ihre Fragen nicht vorher schriftlich eingereicht hätten. Und immer endet das Ganze mit „Vive la République, vive la France!“ . Manchmal kann man dabei vergessen, dass es hier um den Jahrestag der Revolution von 1789 geht. Denn Raffinement und Glanz, mit denen sich die Republik von heute in Szene setzt, würden jeder Monarchie zur Ehre gereichen, das Feuerwerk zur allgemeinen Belustigung inklusive. Auch das steife Protokoll, nach dem die Dinge vor sich gehen, hat seine Ursprünge im Versailles von Ludwig XIV. bis XVI. Nicht umsonst heißt der Elysée-Palast bei allen nur „das Schloss“. Manche sagen auch „Château Gaga“, aber das nur, wenn die Dinge im Staat nicht so gut laufen. An Revolution denkt natürlich trotzdem keiner. Die Bastille ist dahin, ein paar ihrer Steine sollen sich noch in der Concorde-Brücke befinden, und schließlich hat zwischenzeitlich jemand la grève , den Streik, erfunden. Man geht also auf Partys und schaut
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