Ein Jahr in Paris
Boulevard Saint-Germain residiert.Er ist zwar auch Philosoph, aber das Interesse der Medien gilt doch eher seinen Frauen als seinen Ideen.
Trotzdem, so dachte ich, sind die Chancen, hier einen passenden „Jules“ zu finden, einfach größer als im Marais, das doch vor allem für Schwule interessant ist, oder bei der Arbeit. (Oder hat man schon davon gehört, dass die Abteilung Damenwäsche als besonderer Ort zum Flirten gilt?) Und es würde ja nicht stören, wenn er dann auch noch schön wäre oder reich. Oder beides.
Sie sehen mich also den Boulevard Raspail entlanggehen. Der Tag ist warm, die Luft süß. Mein Ziel: der biologische Wochenmarkt. Nicht gerade romantisch? Mag sein, aber ein todsicherer Tipp. Die Produkte sind exzellent – auch in Paris ist es längst chic, seinen Salat en bio zu kaufen – und für ein Büschel Rucola steht man ungefähr eine Viertelstunde lang an. Zeit genug für ein paar Seitenblicke.
Und da ist er auch schon. Trägt ein paar Selleriestangen mit sich herum und schafft es, trotzdem sexy zu sein. Gute Schuhe und ein Hauch von Unrasiertheit. Adonis hätte nicht besser ausgesehen. Ich schaue hin, warte, bis er guckt, und senke dann ostentativ den Blick. Und jetzt nicht mehr hinsehen! Auf gar keinen Fall. Jetzt gilt es, mit äußerster Konzentration das Tomaten-Angebot zu studieren. Als gäbe es nichts Wichtigeres.
„Nehmen Sie grüne Tomaten, die sind die besten im Moment.“
Voilà , denke ich und drehe mich um.
Er ist mindestens einen halben Kopf kleiner als ich und unglaublich haarig und aus seinem Baumwollbeutel lugen ein paar schlappe Kohlrabiblätter. Und während ich schnell nach einer möglichst kühlen Antwort suche, sehe ich meinen Adonis zwischen den Ständen dem Ausgang zustreben.
Nun ja, was soll’s. Man darf dem Ganzen bloß kein Gewicht beimessen.
„Du musst immer Leichtigkeit bewahren. Witz. Hintergründigkeit“, sagt Alix, die es wissen muss. „Jede Form von Schwere schreckt sie ab.“
Da wusste ich schon ungefähr, was sie meinte. Denn Frankreich kennt keine höhere Kunst als die des Flirtens 16 . Der Pariser jedenfalls ist darin unschlagbar. Er hat nicht die geringste Hemmung, Sie anzusprechen und Ihnen auf jede erdenkliche Art und Weise zu sagen, wie schön Sie (oder Ihre Beine) sind. Dabei ist er sehr elegant und interessiert sich brennend für jedes Ihrer Worte, und zum Abschied bekommen Sie die Rose aus seinem Knopfloch überreicht. Genießen Sie es, denn vielleicht bedeutet es: nichts.
Alix: „Bedenke immer, dass wir das Land sind, in dem die Galanterie erfunden wurde. Frauenverehrung gehört bei uns zum Leben dazu, wie der rouge zum Essen.“
Alix trank gerne Rotwein, und sie ließ sich gerne verehren. Solange ich sie kannte, schleppte sie alle paar Wochen einen neuen „Jules“ an. Nicht immer nacheinander. Aber im Gegensatz zu ihnen schien sie immer den genauen Überblick zu behalten. Dominique war Maler, Laurent Filmproduzent, Thierry Leiter des Catering-Services, der ihre Galerie hin und wieder mit Häppchen und Champagner versorgte. Diego kam aus Mexiko und machte irgendwas. Philippe war im Marketing der Danone-Gruppe. Solange er aktuell war, gab es in unserem Kühlschrank nur Wasser der Marke Vittel undActimel-Joghurt. Alles andere hätte Verrat bedeutet. In dieser Zeit wusste Alix alles über Lactobacillus casei defensis und seine großartige Wirkung auf die Verdauung. Für den Moment nahm sie alles sehr ernst.
So kam es zu Krisen mit Jean-Luc, als der von seinem wöchentlichen Ausflug zu Monoprix große Mengen an Fruchtjoghurts der Konkurrenz mit nach Hause brachte.
„Ach, so! Und wenn du nächste Woche den Oberbuchhalter von Fauchon kennen lernst, dann gibt es nur noch Kaviar, oder wie?“, giftete er unerwartet bösartig.
Doch der schwarzhaarige Jüngling, den ich eines Morgens in Monsieur Jacques’ Bademantel in der Küche antraf, war eindeutig kein comptable . Das prächtige Tattoo, das zwischen dem Piceur’schen Frotté hervorlugte, traute ich jedenfalls einem solchen nicht zu. Eher dem Sänger einer Heavy-Metal-Band.
„Salut!“ Der Metal-Bruder grüßte freundlich. „Ich hab’ Kaffee gemacht, möchtest du auch einen?“
„Warum nicht.“
„Milch? Zucker?“
„Danke, ja. Danke, nein.“
...
„Ich bin Baptiste.“
„Freut mich.“
...
„Sag mal, stört es dich, wenn ich eine rauche?“
„?!“ In dieser Küche hatte garantiert noch nie jemand um Erlaubnis gefragt, wenn er rauchen wollte.
...
„Schön
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