Ein Jahr in Paris
gewertet würde.) Allerdings sind die meisten Franzosen heutzutage auch schon etwas geistreicher.
– Was den Pariser Mann mit allen Männern dieser Welt verbindet: Er möchte bewundert werden, ein bisschen wenigstens. Er möchte wissen, dass jedes seiner Worte aus Gold ist. Oder wenigstens glauben dürfen, es sei so.
– Lassen Sie ihn bezahlen, die Türen aufhalten, das Restaurant und den Wein aussuchen.
– Sie finden, dies alles widerspreche jeglichem Emanzipationsgedanken? – Leider ist die Sache komplizierter. Die meisten Französinnen verstehen den Flirt als Bestätigung ihrer Weiblichkeit. Er ist ein Spiel mit festen Regeln und Rollen, aber eben vor allem ein Spiel. L’homme propose et la femme dispose . Soll heißen: Lassen Sie ihm doch das Vergnügen, den ersten Schritt zu machen – solange Sie das letzte Wort haben ...
Dann kam die Augusthitze, und das Licht schien noch weißer als zuvor. Alle waren fort. Sogar der Clochard, der sonst täglich im Schatten der Akazie auf dem kleinen Platz schräg gegenüber sein Quartier aufschlug, war verschwunden. (Später erzählte mir einmal jemand, es sei unter Clochards üblich, sich im Sommer in Marseille zu treffen und die Zeit der Hitze am Meer zu verbringen. Ob das stimmt, habe ich allerdings nie herausgefunden.) Tatsächlich ist Paris im August eine Art Freilichtmuseum. Die Kulisse ist da, ein paar Animateure halten als Kellner, Bouquinisten und Fahrstuhlführer verkleidet die Maschinerie in Gang, damit die ausländischen Besucher hindurchgeschleust werden, ohne etwas kaputt zu machen. Aber der Rest schließt vorübergehend sein Geschäft und die Fensterläden, überlässt die Katze jemandem zur Pflege und begibt sich kollektiv ans Meer.
Überlässt die Katze jemandem zur Pflege ...
„Und wie sind deine Ferienpläne?“, fragt Jean-Luc eines Abends betont beiläufig. Er möchte sich doch nicht etwa mit mir unterhalten?
„Gar keine. Man braucht mich schließlich für die Touristinnen. Seit letzter Woche habe ich ein neues Schild, auf dem außer meinem Namen eine französische, eine deutsche und eine englische Flagge zu sehen sind. Ich fühle mich ein bisschen wie eine internationale Gebrauchsanweisung, aber tant pis 19 . An Urlaub ist jedenfalls nicht zu denken, solange sich in dieser Stadt noch eine einzige Amerikanerin mit dem Wunsch aufhält, ihr Eheleben durch französische Lingerie zu beleben.“
Den letzten Satz überhört Jean-Luc. „Nun, würde es dir dann womöglich etwas ausmachen, für ein paar Tage auf Paul achtzugeben?“
„Aber gar nicht. – Wohin soll es denn gehen?“
„Belle Île. Meine Familie hat dort ein Haus. Weißt du, das wäre eine große Erleichterung. Die Fahrt verkraftet er nicht, und zur Concierge kann ich ihn auch nicht mehr geben. Nach dem letzten Mal war er für Wochen völlig verstört.“
„Ach, danach war er verstört. Aber lass ihn ruhig hier. Das kriegen wir schon hin.“
Er überreicht mir eine handgeschriebene Fütterungsanweisung, und dann bin ich endgültig allein. Jean-Luc auf dem Weg an die Atlantikküste, Alix irgendwo an einem Swimmingpool, Kitty und Lülü nach Trouville entschwunden. Nur Monsieur Marcel, der Friseur von gegenüber, ist auch noch da. Ich glaube, er schließt seinen Salon nur, wenn ein gesetzlicher Feiertag ihn dazu zwingt. Was Paul angeht, bin ich mir nicht so sicher. Er will mich nicht sehen. Aber solange morgens der Napf leer ist, soll es mir recht sein.
Schließlich kündigte auch Gaetano an, für ein paar Tage davonzufahren. Vorher aber versprach er mir ein letztes „Rendezvous“.
„Morgen Nachmittag am Pont de l’Alma.“
„Meinst du nicht, es gibt in dieser Stadt einen romantischeren Treffpunkt als eine sechsspurige Autobrücke aus den 70er Jahren?“
„Geduld, Mademoiselle! Das wird dir Spaß machen.“
Sagt Ihnen der Pont de l’Alma etwas? Gäbe es einen Wettbewerb für die hässlichste Seine-Brücke, hätte diese hier alle Chancen. Kein Vergleich mit der steinernen Schönheit des Pont Neuf oder dem zierlichen Pont des Arts. Der Pont de l’Alma ist ein typischer Nicht-Ort. Man benutzt ihn, umzwischen Palais de Tokyo und Place de la Résistance die Seine zu überqueren, mehr nicht. Sie können das hundert Mal tun, ohne etwas Besonderes zu bemerken. Vielleicht fragen Sie sich kurz, wer um alles in der Welt diese überdimensionale vergoldete Skulptur in Form einer Flamme zu verantworten hat, die da inmitten des Getöses auf einer Verkehrsinsel emporragt. Aber
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