Ein Jahr in Paris
„Stella“ eine Kollektion für H&M entwarf. Seitdem würdigt Bibi ihre Sachen keines Blickes mehr. Sie würde es mit jedem so machen.
Heute Abend ist ein Fest. Wir werden hingehen, on va faire la fête , ganz cool nach stundenlangen Stylingvorbereitungen, aber äußerlich so ungerührt, als wären wir nur eben aus dem Liegestuhl aufgestanden. Schließlich ist das oberste Gebot von Saint-Tropez, dass nichts nach Anstrengung aussehen darf. Die Frisur nicht, die Figur nicht, nicht die Last des zu verschleudernden Vermögens.
Alix weiß, dass ich vollkommen überfordert bin. Sie weiß es, und sie nimmt mich kommentarlos an die Hand und passt auf, dass ich nicht ins Fettnäpfchen trete. Das werde ich ihr nie vergessen. Sie steckt mich in eines ihrer flatternden Paradiesvogelkleider, pinselt türkisblauen Lidschatten um meine Augen und sagt: „Das ist nur ein Spiel hier. Wenn Paris die Crème ist, dann ist Saint-Trop’ die Zuckerkruste.“
„Woher kennst du all diese Leute, Alix?“
„Wie? Ach so! – Halt doch mal still. – Bibi ist meine Cousine. Wir sind zusammen aufgewachsen. Aber wir sehen uns nicht mehr oft. Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Deshalb werde ich meistens nicht eingeladen.“
„Was hast du angestellt?“
„Erstens: Ich habe Literatur studiert. Zweitens: Ich habe, seit ich neunzehn Jahre alt bin, jeden Centime, den ich ausgebe, selbst verdient. Drittens: Ich habe das Erbe meines Großvaters einem Umweltprojekt in Brasilien gespendet. Das hat dann gereicht.“ Sie grinst. „Mund zu!“ Ihr Lippenstift schmeckt nach sanften Früchten.
„Warum hast du das getan?“
„Ich dachte, ich könnte etwas wiedergutmachen. Unsere Familie hat ihr Geld dadurch bekommen, dass sie immer stärker war als andere. Es gab immer irgendeinen Onkel in der Politik. Keine Mafia wie in Italien. Hier in Frankreich läuft das eleganter. – Weißt du, warum Jack Lang als Kulturminister so unbeliebt war?“
„Weil er den hässlichen ‚Grand Arche‘ in La Défense gebaut hat?“
„Nicht doch. Weil er seinen Etat fast ganz für sich behalten hat. – Wie findest du die grüne Seide hier?“
„Was heißt das: seinen Etat für sich behalten?“
„Normalerweise läuft es so, dass die Minister über ihre Millionen frei verfügen können. Und jeder weiß, dass ein bestimmter Teil an verdiente Mitarbeiter geht. In bar, ohne Steuern, verstehst du?“
„Aber das ist doch Korruption!“
„Aber nein, ma chère , das ist Politik. C’est comme ça. – Und wir gehen uns jetzt ein bisschen amüsieren.“
Der Pool hier ist noch ein bisschen größer, und seine Farbe geht mehr ins Jadegrün. Aber natürlich schwimmt niemand.Ich glaube sowieso, dass diese Pools nicht dazu da sind, damit in ihnen geschwommen wird. Die Jungs produzieren sich manchmal mit Saltos und Bauchklatschern und wenn Mütter und Großmütter da sind, dann gehen sie alle paar Stunden zur Abkühlung ein wenig darin herum, aber damit hat es sich auch schon. Immerhin hat der Gärtner ein bisschen was zu tun, Laub und Käfer herauskätschen und so.
Um den Pool herum geht es dagegen hoch her. Die Musik ist elektronisch, der Sound einer schattigen Oase an einem flirrend heißen Sommertag. Es ist eine dieser Partys, die junge Menschen in den Häusern ihrer Eltern ausrichten, um die Dinge unter sich auszumachen. Die Eltern haben nichts dagegen, denn schließlich ist es nur in ihrem Sinne, wenn das Vermögen in der Nähe bleibt und das Töchterchen sich nicht allzu sehr in die Arme irgendeines Gérards oder Abduls begibt. Oder Schlimmeres.
Natürlich ist man offen, aber alles hat seine Grenzen. Sie verstehen schon. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Party und trinken Champagner – einen wirklich guten, logisch – und unter den Gästen ist ganz selbstverständlich jemand, dessen Name einem auf dem Flaschenetikett wieder begegnet. So ungefähr.
Den Champagner halte ich jedenfalls schon mal in der Hand, nur der Erbe wurde mir bislang noch nicht vorgestellt. Oder ich habe es in der Aufregung nicht mitbekommen. Vor lauter Panik, dass rauskommt, dass sich meine Erfahrung mit Champagner auf die bronzene Hochzeit von Onkel Robert und Tante Elisabeth beschränkt. Bei uns gab es nur zu Silvester Prosecco frizzante für alle und damit hatte es sich. Wahrscheinlich würde es mit dem Erben so laufen:
Junger, glattrasierter Champagner-Erbe: „ Salut, Alix! Wiegeht’s? Lange nicht gesehen!“ (Und wer ist deine nervöse kleine Freundin, die man
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