Ein Jahr in Paris
die Jüngeren denken häufig noch in Francs. Das Problem daran: 1 € entspricht nach letztem Stand etwa 6,55957 FF.
39 Père Noël hat sich übrigens erst in den 1920er Jahren in Frankreich durchgesetzt. Ebenso der Weihnachtsbaum. Bis dahin war es eher üblich, sich am Neujahrstag, le jour de l’an , zu beschenken.
Januar – Super jolie nana
9. Kapitel, das vom französischen Verständnis von Zeit und der Liebe auf den ersten Blick handelt. Monsieur Marcel kommt zum Einsatz und Alix begeht vielleicht ein Verbrechen.
Aufgabe des Monats: Auf Zehn-Zentimeter-Stilettos Haltung bewahren.
Erkenntnisse: Im Angesicht des Hasen soll man schweigen.
A M ERSTEN J ANUAR nach dem Frühstück lief ich mit Gaetano durch den Park Monceau und bis zum Palais de Tokio. Es begann gerade wieder zu dämmern. Auf den Stufen, die Richtung Seine führten, blieben wir stehen und beobachteten drei Jungs dabei, wie sie versuchten, mit ihren Skateboards die Treppen hinunterzuspringen. „Ich glaube, ich werde alt.“ In Wahrheit fühlte ich mich bereits so. „Wem sagst du das“, knurrte Gaetano. „Ich bin immerhin zehn Jahre älter als du. Mir geht es bestimmt zehnmal schlechter!“
So reden Menschen über dreißig, wenn sie endlich mal wieder eine Nacht durchgemacht haben und feststellen müssen, dass der wohlige Kater, den man früher als Beweis dafür genommen hatte, dass die Nacht eine sehr wilde gewesen war, sich in einen elenden Katzenjammer verwandelt hat. Schweigend starrten wir zu den Skatern und ihren jungen, wendigen Körpern hinab. Selbst wenn sie stürzten, gelang es ihnen immer noch im letzten Moment, sich wieder zu fangen.Ob sie auch irgendwann einmal an unserer Stelle stehen würden?
„Ach, Gaetano, warum ist das Leben so verwirrend?“
„Das Leben ist, wie es ist.“ Er übte seit Neustem Yoga bei einem Zen-Meister. „Wir sind es, die verwirrt sind. Du musst nur deine Mitte wiederfinden. Dann wird dir alles klar.“
Ich beschloss, nichts dazu zu sagen, und versuchte stattdessen, irgendwo am blauen Horizont La Défense zu entdecken, aber es gelang mir nicht. Vermutlich standen wir ganz falsch. Aber schon bei dem Gedanken daran konnte ich wieder die Träger meines Seidenkleides auf der Haut spüren, diese Hand in meinem Rücken und im selben Moment Alix hören, wie sie, das Weinglas in der Hand, ruft: „Wisst ihr was? Wir fahren nach La Défense!“
„Was, jetzt? Es ist vier Uhr morgens!“
„ Tant pis . Dann verpassen wir wenigstens nicht den Sonnenaufgang. Mein Vater hat sein Büro dort. 44. Etage und der grandioseste Blick aller Zeiten. Worauf warten wir?!“
Wir hatten beschlossen, selbst eine Silvesterparty zu geben. Jeder durfte ein paar Leute einladen. Alix hatte die längste Liste. „Aber eigentlich brauche ich auch nur Vladimir“, säuselte sie. „Die anderen sind bloß für die Deko.“ Vladimir war Tänzer und, laut Alix, „une vraie bête“ 40 . Ich hatte bisher nur einmal seinen Oberkörper zu Gesicht bekommen – was genügte, um zu wissen, was sie meinte. Selbst Kitty verdrehte die Augen, wenn sie ihm morgens im Flur begegnete. Und sie als ehemaliger Profi musste es ja wissen. Gesprochen hatte er dagegen bisher nicht sehr viel.
Jean-Luc sagte, es kämen vielleicht ein paar Kollegen, aber daran glaubte ich nicht so recht. „Ich würde zwei, drei Kumpel von Rungis fragen, wenn’s euch nicht stört“, sagte Thierry, den wir, seit wir seine Geschichte kannten, freundlicher behandelten. „Wir würden uns dann ums Büffet kümmern.“
Ich fragte Gaetano. Er sagte, er käme gerne, und bat, „jemanden“ mitbringen zu dürfen.
„Ah, bevor ich es vergesse!“, rief Jean-Luc. „Baptiste möchte auch vorbeikommen. Er fand es sehr nett neulich.“ Seltsamerweise hüpfte mein Herz bei dieser Nachricht.
„Alix, weißt du einen guten Friseur? Meine Haare sehen schrecklich aus. Und ein neues Kleid brauche ich auch. Ich habe überhaupt nichts mehr anzuziehen!“ Meine Kleiderstange bog sich unter dieser Behauptung noch mehr als sonst, und auch Alix sah mich prüfend an.
„Geht es um einen Mann?“
„Unsinn. Ich habe einfach nur das Gefühl, ich müsste das neue Jahr anders beginnen als das alte.“
„Ich glaube dir kein Wort. Aber komm mich doch morgen von der Galerie abholen. Dann machen wir eine kleine Tour.“
Zwölf Stunden später: Ich klingele, im ersten Stock öffnet sich ein Fenster, Alix wuchtet ihre 90 D über das Geländer. „Sekündchen“, flötet sie, „komme
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