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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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ja gesehen, wie er aussieht.“
    „Der Heilige Sebastian by Marc Jacobs.“ Ich gab der Flasche einen neuen Tritt. „Aber was sagt dein Yogi dazu? Ich dachte, Begehren ist Leiden, oder so.“
    „Von Zeit zu Zeit quält auch den Fisch der Durst.“
    „Wie bitte?“
    „Hat er gesagt. Das war mein Koan für die Woche.“
    „So ein Unsinn.“
    „Wie du meinst“, schnappte er beleidigt, „aber ich lade dich gerne mal zu einer Probemeditation ein. Deinem Leid könnte ein wenig Abstraktion nicht schaden, wie mir scheint.“
    „Mein Leid misst ganz konkrete 1,65 Meter und heißt Néné.“ Ich gab dem Champagner einen wütenden Tritt. Die Flasche kullerte die weißen Stufen hinab und zersprang.
    „Mince, qu’est-ce qu’il t’arrive aujourd’hui? 43 Ein wenig Yoga könnte dir wirklich nicht schaden. Seit wann lässt du dich von Frauen einschüchtern, die halb so groß sind wie du?“
    „Viel schlimmer finde ich ehrlich gesagt, dass ich im entscheidenden Moment den Mund nicht aufbekommen habe.“
    „Aber nicht doch, ma chère . Botschaften werden vom Auge weitergegeben, manchmal ganz ohne Worte.“
    „Ist das jetzt wieder Zen?“
    „Nein, das ist eine alte Fotografenweisheit.“

    So begann das neue Jahr.
    Französisch für Anfänger VII
    Sie erinnern sich an den Geist der Simone de Beauvoir, der mir kürzlich etwas über die Emanzipation zuzischeln wollte? Ich würde gerne noch einmal darauf zurückkommen. Denn wie den meisten Nicht-Französinnen erschien auch mir Frankreich als eine Art wiedergefundenes Paradies, in dem die Bestrafung Evas für den Apfel mittels Kinderkrippen, Ganztagsschulen und Gewerkschaften überwunden sei. Da ist was dran, zumindest in Paris. Eine Pariserin, die sich entschlösse, daheimzubleiben, um das optimale Gedeihen des Nachwuchses zu überwachen, würde sich bald langweilen und vereinsamen. Die Wochentage, die Parkbänke und Spielplätze der Hauptstadt gehören den Nounous , die sich hier – nach Herkunftsland geordnet – treffen und Neuigkeiten austauschen. Mütter haben da nichts zu suchen. Sie arbeiten. Überhaupt ist der Begriff „Rabenmutter“ im Französischen völlig unbekannt. Nach drei Monaten kehren die meisten Frauen in den Beruf zurück, flankiert von einer ausgefeilten Familienpolitik, die erreichen möchte, dass Madame die drei Kinder, die sie sich statistisch gesehen wünscht, bekommt und trotzdem Karriere machen kann. 80 Prozent aller Mütter in Frankreich arbeiten, und 40 Prozent aller Führungskräfte in Frankreich sind Frauen. Das ist, verglichen mit dem restlichen Europa, ziemlich gut, vor allem wenn man bedenkt, dass die Französinnen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs kein Wahlrecht hatten und weder ein eigenes Konto noch einen Auslandspass besitzen durften. Trotzdem gab es in Frankreich nie einen radikalen Feminismus, da hat auch Simone de Beauvoir nicht viel ausrichten können.Vielleicht waren den Französinnen ihre soutien-gorges , ihre BHs, schon immer viel zu teuer, um sie zu verbrennen. Andererseits hätten sie womöglich ganz gut daran getan. Der französische Mann nämlich ist Macho geblieben. Er hält weder von Hausarbeit besonders viel noch davon, seine einmal eroberten Sphären zu teilen. Das gilt vor allem für die Politik. Nur 12 Prozent der Abgeordneten in der Assemblée Nationale sind weiblich. Zwar wurde im Jahr 2000 ein Gesetz verabschiedet, nach dem die Kandidaten aller Parteien bei Wahlen je zur Hälfte Frauen sein müssen, die konservative Partei UMP zahlt aber lieber rund 4 Millionen Euro Strafe, als sich auch nur annähernd an diese Vorgabe zu halten.
    40 Wörtlich: ein echtes Tier.
    41 Ein laxatif entspannt den Darm. Ob er es wert war, wusste ich allerdings selbst noch nicht.
    42 Les étrennes ist das traditionelle Weihnachts- oder Neujahrsgeld, das in Paris Putzfrauen, Postboten, Concierges und andere dienstbare Geister bekommen. Vor allem bei den Concierges ist man gut beraten, nicht zu knapp zu rechnen: „Frankreich ist ein freies Land, sagen die Leute. Das mag, für viele Gebiete, richtig sein. Daß sich aber eine Stadt wie Paris die Tyrannei dieser Hausmeister gefallen lässt, ist etwas, das ich – auch nach jahrelangem Aufenthalt in dieser schönen Stadt – niemals begriffen habe. Er bittet nicht um die „étrennes“ – er verlangt sie, traulich, auf die unsichtbare Pistole gelehnt, die jeder Mieter kennt. Denn jeder Pariser Hausmeister ist ein Beobachter deines privaten Lebens. Er weiß alles. Durch ihn gehen alle

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