Ein Jahr in Paris
vorweisen können, wird die carte de séjour verlängert, sonst nicht. Falls man unter die Rubrik immigration subie , also die „erlittene“ Einwanderung, fällt – wobei derjenige, der sie erlitten hat, Frankreich ist und nicht der Einwanderer –, stehen die Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung allerdings denkbar schlecht. Im Sommer 2006 bekamen knapp 7000 von 33 000 Antragstellern die carte de séjour. Es handelte sich dabei vor allem um Familien, deren Kinder in Frankreich zur Schule gehen.
Abgeschafft wurde auch eine 1998 eingeführte Regelung, die sans papiers , die einen zehnjährigen dauerhaften Aufenthalt in Frankreich nachweisen konnten, das Bleiberecht ermöglichte.
44 Das Pariser Sanitär- und Baugewerbe sind fest in osteuröpäischer Hand, und „le plombier polonais“ , der „polnische Klempner“ ist inzwischen zum Synonym aller Billigarbeiter geworden. Von den Gegnern der EU-Verfassung wurde er 2005 zum Symbol für eine bedrohliche Zukunft voller Dumpinglöhne, Arbeitslosigkeit und Immigranten stilisiert. Die Warschauer Zeitung „Zycie Warszawy“ entgegnete dem, es seien in Frankreich lediglich 150 Klempner aus Polen beschäftigt. Zu dieser Zahl hinzufügen muss man allerdings das Wort „offiziell“.
März – Goût de vivre
11. Kapitel, in dem ich als Baum scheitere, Herrenbesuch bekomme und den Geschmack des Lebens koste.
Aufgabe des Monats: Atmen
Erkenntnisse: Tout vient à point à qui sait attendre.
E S IST EIN B ILD DES J AMMERS: Mit wirrer Frisur (Jean Seberg als Igel), hochrot im Gesicht hüpfe ich auf einem Bein umher, rudere mit den Armen und versuche verzweifelt, die Balance zu finden. Um mich herum stehen alle fest und regungslos und haben die Hände vor der Brust zusammengelegt. Wie es sich gehört für einen anständigen Yogi, und ich sollte es eigentlich auch so machen. „Der Baum“ heißt die Übung, aber das, was ich hier darbiete, müsste wahrheitsgemäß eher „räudige Krähe“ heißen. Dabei ist der Baum angeblich erst eine Vorstufe für etwas ganz anderes. Meine Mattennachbarin hat sogar die Augen geschlossen. Nicht mal Gaetano schwankt ab und an ein bisschen.
„Du kannst auch erst einmal nur den rechten Fuß auf den linken stellen, wenn das für dich leichter ist“, flüstert Sarah und lächelt mir aufmunternd zu. Sarah ist die Assistentin des Gurus, dem Gaetano seine neu gewonnenen Weisheiten verdankt. So stehe ich jetzt da wie jemand, der sehr dringend zur Toilette muss, und bin enttäuscht. „Inspiration aus den Tiefen deiner Selbst“ hat man mir versprochen. Doch das Einzige, was ich spüre, sind meine nackten Füße auf dergummiartigen Yogamatte und ein heraufziehender Krampf im Po. Ich hatte mir Yoga immer als etwas vorgestellt, bei dem man auf einem Kissen im Kreis sitzt, sich einen Stein oder eine Schildkröte vorstellt und dann abwartet. Stattdessen musste ich in der vergangenen Stunde bereits den „Adler“, den „nach unten blickenden Hund“ und die „halbe Heuschrecke“ machen, außerdem „spüren“, wie ich im Boden versinke – was beim besten Willen nicht gelang – und meinen Atem in die Zehen schicken. Dort kam er allerdings nie an, oder ich habe nur nichts gemerkt. Die anderen um mich herum scheinen jedenfalls keine Probleme damit zu haben. Sanftes Lächeln, gütige Blicke, vollkommene Zufriedenheit. Dann müssen sich alle auf kleine hölzerne Meditationsbänkchen setzen und mit untergeschlagenen Beinen „einfach nur atmen“. Natürlich soll man „nichts“ denken. Ich schaffe das nicht einmal dreißig Sekunden lang, dann ertappe ich mich sofort wieder dabei, wie ich daran denke, dass ich noch Milch kaufen und unbedingt Georg anrufen muss und am Automaten Geld abheben. Dass ich mich über Madame Abteilungsleiterin geärgert habe, weil sie mir für die nächste Woche nur späte Schichten gegeben hat, und dass ich noch ein Geburtstagsgeschenk für Jean-Luc brauche. Ich rufe mich innerlich zur Ordnung und denke nichts, bis mir auffällt, wie wahnsinnig unbequem diese Haltung ist. Mein Rücken schmerzt, meine Beine sind taub, mir wird langsam kalt. Heizen ist offenbar nicht Zen .
Ganz sicher aber ist es „bouddhistomaniaque“. So nennen die Pariser halb ironisch, halb liebevoll ihre meditierenden, Yoga übenden oder sonstwie von fernöstlicher Lebensweise inspirierten Mitbürger. Ich hatte diese Stadt immer für viel zu chic und bequem gehalten, als dass Räucherstäbchen, Energieatmung und körperliche Verrenkungen dort
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