Ein Jahr in Paris
Satz wie „nach dem brasilianischen Stil werden dieSchnitte jetzt wieder deutlich klassischer, wie Sie selbst sehen können“ zu sagen, als Marie-Line auf uns zusteuert. „Ob Sie wohl einen Moment an der Kasse einspringen könnten, meine Liebe?“ Und geflüstert: „Herrenbesuch für dich.“
Mein Blick wandert Richtung Kasse. Dort steht Arnaud. Hängende Schultern, Bartschatten. Das Jackett scheint plötzlich drei Nummern zu groß für ihn. Mein Gott, sieht der fertig aus.
„Hat es nicht gepasst?“
„Doch, doch. Das heißt, ich weiß nicht. – Hast du einen Moment Zeit?“
„Ich kann in zehn Minuten Schluss machen. Treffen wir uns dann oben in der Brasserie.“
Er hat bereits einen Aperitif vor sich und starrt in das Glas, als läge auf dem Grund ein kleiner toter Goldfisch, den er einmal sehr lieb gehabt hat. Ich setze mich ihm gegenüber und warte ab.
„Entschuldige meinen Aufzug“, sagt er irgendwann, „aber ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. – Dieser Satz von dir gestern, was du über Isabelles Freundinnen gesagt hast und dass sie um einen Mann wie mich zu beneiden ist – ich habe mich so mies gefühlt danach.“
Oh là là , mir schwant Übles.
„Plötzlich ist mir klar geworden, dass alles eine Lüge ist. Keine von Isas Freundinnen würde auch nur eine Minute lang mit ihr tauschen wollen, wenn sie wüssten, was für ein Ehemann ich bin.“
„Aber Arnaud“, sage ich hilflos. „In jeder Ehe läuft es mal eine Zeit lang schlechter. Zwei kleine Kinder, der Stress im Job, das ist ganz normal, glaub mir, das hört wieder auf.“ Als ob ich die geringste Ahnung davon hätte.
„Das ist es nicht.“ Mit einem Schluck stürzt er seinen Apéro hinunter. „Die Wäsche war gar nicht für Isabelle. Ich habe eine Freundin, seit über einem halben Jahr schon. Und gestern, da habe ich gemerkt, dass ich diesen Betrug nicht mehr aushalte. Ich werde Isabelle verlassen.“ Den Kopf in die Hände vergraben sitzt er da. Hoffentlich fängt er mir jetzt hier nicht an zu heulen. Ich gehe uns einen Kaffee holen, das scheint mir in dieser Situation besser als Alkohol. Als ich zurückkomme, hat er sich etwas gefasst.
„Ich habe sie in einem Café getroffen. Ich wartete auf einen Kollegen, sie saß am Nebentisch und lächelte mich so merkwürdig an. Dann sagte sie plötzlich: Erkennst du mich nicht? – Ich: Nein, kennen wir uns? – Sie: Wir haben mal miteinander geschlafen. – Ich sagte: Unmöglich, Sie verwechseln mich. Sie: Nein, nein, du bist Arnaud, stimmt’s? Mir war das Ganze wahnsinnig peinlich. Ihr Gesicht sagte mir überhaupt nichts, und mein Kollege konnte jeden Moment auftauchen. Aber sie lachte nur: C’est pas grave. Das kann jedem passieren. Ist ja auch schon eine Weile her, und wir waren wahrscheinlich ziemlich betrunken. Ich bin Marisa, die Cousine von Yves Meyer. – Langsam dämmerte es mir. Yves hatte ich in der Classe prépa 48 für die Sciences-Po kennen gelernt.“
Der arme Arnaud. Da saß er nun mit dieser irritierenden Frau, und von der anderen Straßenseite her winkte bereits der nahende Kollege.
„Also habe ich sie nach ihrer Telefonnummer gefragt. Eine Woche später haben wir zum ersten Mal miteinander geschlafen. Oder zum zweiten Mal, muss man wohl sagen.“ Er versuchte ein Lachen. „Sie ist so anders. Ich begann, mein eigenes Leben mit Isabelle mit fremden Augen zu betrachten. Ich sah eine Frau, der ich es nie recht machen würde, eine Wohnung, in der ich nicht mal die Fußmatte selbst ausgesucht hatte, einen Alltag ohne jede Spontaneität. All diese absurden Zwänge: Wann haben wir die Moutons das letzte Mal eingeladen, und was gab es zu essen? Nein, dann darf es dieses Mal auf keinen Fall wieder Crevetten geben. Eines Tages bemerkte ich, dass ich Isabelle eigentlich unerträglich finde. Ihre ständigen Szenen, ihre ständige Unzufriedenheit. Und dann dieses Rosa! Überall Rosa! Jeden Morgen denke ich, wenn sie heute wieder so ein rosa Cashmere-Jäckchen anhat, dann schreie ich. Das Einzige, was mich davon abhält, ist die Anwesenheit von Victor und Héloïse. Aber selbst die Kleine fängt schon an zu heulen, wenn sie einmal nichts von Petit Bateau bekommt.“
Er zündete sich eine Zigarette an. Ich dachte an Isabelle, und wie sie für den Abwasch immer rosafarbene Gummihandschuhe getragen hatte. Arnaud fuhr fort: „Jahrelang bin ich durchs Leben gelaufen und habe getan, was die anderen von mir wollten. Die richtige Karriere, die richtigen Kontakte, das
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