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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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eine Chance hätten. Alle, die ich kannte, verbanden jedenfalls mit dem Begriff „Entspannung“ eine gute Flasche Rotwein.Doch wie immer hatte ich nicht mit der Größe der Stadt gerechnet, die so viel Raum für anderes ließ. Und wieder war es Gaetano, der mir dieses andere zeigte.
    Leider war ich keine gute Schülerin.
    „Und nun möchte ich mit euch noch Om singen“, sagte Sarah und lächelte.
    „OM wie Olympique Marseille“ 45 , flüsterte ich Gaetano zu. Unglücklicherweise hatte ich die auf zenmäßiges Schweigen ausgerichtete Akustik des Raums unterschätzt. Blicke trafen mich, und plötzlich wusste ich, wie man im Boden versinkt. Ich erwartete eine Rüge von Sarah, sie jedoch, ganz unberührbarer Assistenzguru, lächelte nur. Mitleidig, wie mir nun schien.
    „Und, wie fühlst du dich?“, fragte Gaetano, als wir ungeduscht und voll „positiven“ Schweißes den Übungsraum verließen.
    „ Franchement dit , ich habe nichts gemerkt.“
    Er seufzte. „Das dachte ich mir. – Natürlich hast du nichts gemerkt. Das ist immer so am Anfang. Aber du hast ja keine Geduld. Bei dir muss immer alles sofort passieren oder du springst ab. In diesem Punkt bist du schon ganz Pariserin.“
    „Ich finde das Leben zu kurz, um es mit Warten zu verbringen.“
    „Tout vient à point à qui sait attendre.“ 46
    „Gaetano! Noch eine von deinen neu gewonnenen Weisheiten und ich kündige unsere Freundschaft.“
    „Un ami c’est quelqu’un qui sait tout de toi, et qui t’aime quand même.“ 47

    Fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt. Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich ihn bereits vergessen.
    „ Ça alors, Arnaud! Was für ein Zufall. Ça va? Was machst du hier?“ (Zugegeben, eine blöde Frage. Was macht ein Mann wohl in einer Dessousabteilung?)
    Er stottert ein bisschen herum – keine gute Performance für einen Elite-Absolventen –, murmelt etwas von einem kleinen Geschenk und zupft an einem schwarzen Knäuel in seinen Händen. Ich nehme es ihm ab, bevor er etwas kaputtmachen kann. Er sieht nicht gut aus. Augenringe, erschöpfte Falten um den Mund. Bemitleidenswert. Es scheint nicht besser zu laufen mit Isabelle, seit ich die beiden in ihrer schicken, Schwiegervater-gesponsorten Wohnung allein gelassen habe. Oder vielleicht doch? Das kleine schwarze Geschenk würde auch für eine dieser luxuriösen Swingerpartys taugen, die angeblich gerade im Kommen sind. Aber Isabelle als zweite Catherine Millet? Mir fallen ihre cremefarbenen Frottépantöffelchen ein und die abendlichen Gesichtsmasken. Wahrscheinlich wird sie ihm nachher eine gewaltige Szene machen à la „Du liebst mich nicht, so wie ich bin“ et cetera. Aber eigentlich geht mich das ja gar nichts an. Ich bin schließlich im Dienst. Also sage ich: „Das ist ein wunderschönes Geschenk! Ganz exquisit und hervorragend geschnitten. DiesesLabel lässt nur von Hand produzieren.“ Was Eliten so hören wollen. „Das Bustier scheint mir allerdings eine Spur klein im Körbchen.“ Schließlich hat seine Frau zwei Kinder geboren. „Isabelle kann es aber jederzeit umtauschen.“ Sein Gesicht färbt sich rötlich.
    Im Lager fängt mich Marie-Line ab. „Ist das ein Ex von dir? Der hat ja einen Mordsschreck bekommen, als er dich gesehen hat.“
    „Was, so einen Langweiler traust du mir zu?! Aber ich muss dich enttäuschen, das ist nur mein Ex-Vermieter, dem es peinlich ist, dass ich alle seine Ehestreits mitbekommen habe.“
    „Also ich finde ihn gar nicht so langweilig.“
    Auf dem Weg zur Kasse schaue ich mir Arnaud etwas genauer an. Es stimmt, rein optisch hat er sich gemacht. Er ist dünner geworden und dort, wo sonst immer eine dicke Krawatte mit Angeberknoten baumelte, steht sogar ein Knopf offen. Auch mit den Haaren ist etwas anders. Wenn es nicht Arnaud wäre, könnte man glatt das Wort „verwegen“ benutzen, um ihn zu beschreiben.
    Ich packe ihm ein schönes, fluffiges Päckchen im Isabelle-Stil. Er guckt unglücklich. „Das wird sie sicher freuen“, sage ich aufmunternd. „Um so einen Mann würden all ihre Freundinnen sie beneiden.“ Er nimmt das Paket und bittet dann doch noch um eine Extratüte. Das Schlimme an Spießern ist, dass sie sich für ihre einmal begangenen Verwegenheiten sofort schämen. „Also dann, alles Gute“, sage ich zum Abschied, um ihm (und mir) peinliche Interessefloskeln nach meinem Leben zu ersparen. „On se voit.“ Er lächelt tapfer und trollt sich.

    Am nächsten Tag kurz vor Feierabend bin ich gerade dabei, einen

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