Ein Jahr in San Francisco
abbilden. Hätte ich nicht durch Zufall vor kurzem einen Film zu den Beatniks gesehen, hätte ich wohl nicht gewusst, wovon sie spricht: North Beach machte sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren durch seine hohe Dichte an Schriftstellern, Poeten und kritischen Denkern einen Namen. Die damaligen Skandalhelden, die Beat-Schriftsteller William S. Burroughs, Jack Kerouac und Allen Ginsberg, schrieben Romane und Gedichte, die teilweise hemmungslos mit den damaligen Tabus brachen. Marihuana, Drogen- und Sexexzesse – die Beatniks waren gegen die Prüderie in Amerika, und gerade deswegen wurden sie ebenso geliebt wie gehasst und prägten ein komplett neues Lebensgefühl: den Beat. Sie trafen sich in den kleinen Cafés und Bars entlang der Green und Union Street und diskutierten dort über ihre neuesten literarischen Werke. Ein paar dieser Lokalitäten, wie beispielsweise der Saloon , die älteste Blues-Bar der Stadt, oder das Caffe Trieste blieben bis heute unverändert und besitzen immer noch die Einrichtung und den Charme längst vergangener Zeiten.
Ich muss auch an Dylan Thomas denken, den Schriftsteller und Dichter, der im Vesuvio das Sonderrecht hatte, seiner zweiten Leidenschaft, dem Alkohol, zu frönen und dort volltrunken die Nächte zu verbringen.
Nachdem wir uns von den Strapazen des Morgens erholt haben, stehen zwei weitere Besichtigungstermine an. Doch für alle gilt das Gleiche: Es passt so wenig, dass ich über meine Kompromisswilligkeit gar nicht erst nachdenken möchte. Gegen Nachmittag brechen wir zum Telegraph Hill auf, ein letzter Termin steht uns noch bevor. Ich bin frustriert, versuche aber mir vor Sophia nichts anmerken zu lassen. Als wir am Washington Square vorbeikommen, umgeben von eindrucksvollen viktorianischen Bürgerhäusern,seufze ich: „Hier würde ich auch gerne wohnen.“ – „In den Earthquake Cottages ?“, fragt Sophia und zeigt auf ein paar flache und einfache Holzbauten, die zwischen den Victorians stehen und nicht so richtig ins Bild passen. Ich schüttle den Kopf und zeige auf die stattlichen Victorians , doch Sophia fährt trotzdem fort. Sie erzählt mir, dass die sogenannten Earthquake Cottages nach dem großen Erdbeben usprünglich als Übergangswohnungen gebaut wurden, um den Bewohnern der Stadt Unterschlupf zu gewähren. Später konnten die Notbauten teilweise für weniger als hundert Dollar von der Flüchtlingsorganisation erworben werden. Ich humpele ächzend hinter ihr her. Eine Blase am linken Fuß, mit der ich seit einigen Tagen gesegnet bin, pocht mittlerweile in meinem Schuh vor sich hin, und der steile Aufstieg macht diese Tatsache nicht unbedingt besser.
Das Viertel Telegraph Hill überschaut von oben das quirlig-bunte Little Italy. „Meine Tante Emmy hat hier lange gelebt. Es ist ein bisschen ruhiger, du findest weniger Bars und Restaurants, dafür aber mehr Natur und wunderbare Ausblicke auf die Bucht“, sagt Sophia. „Bevor der Telegraphenmast kam, hieß der Berg Ziegenberg. Doch mit dem ersten Masten im Jahr 1950 wurde der Stadtteil in Telegraph Hill umbenannt.“ Obwohl das Viertel zu den teuersten der Stadt gehört, machen die Häuser alle einen recht beschaulichen, fast niedlichen Eindruck; keine pompösen Bauten, keine eindrucksvollen Säuleneingänge wie beispielsweise im Stadtteil Pacific Heights , denn hier gibt es eine Regel, dass die Häuser maximal 40 Fuß, also 12,5 Meter, hoch sein dürfen.
Wir staunen nicht schlecht, als wir wenig später endlich vor der Haustür der angegebenen Adresse auf der Lombard Street stehen. „Sweetie, have a look! Amazing, huh? I love it“, quiekt Sophia. Obwohl sie bereits so viele Jahre in der Stadt wohnt, kann sie immer noch eine extrem beeindruckendeBegeisterung für die Panoramaausblicke der Stadt aufbringen. In diesem Fall auf die Golden Gate Bridge, die weltberühmte Brücke, die seit 1937 ihren Bogen über die Meeresenge namens Golden Gate , also die Meerenge zwischen Marin County und der San-Francisco-Halbinsel, spannt. Sie wurde übrigens mit der Farbe international orange angestrichen, weil sie damit selbst bei Nebel sichtbar ist. Obwohl uns mehr als zweieinhalb Kilometer von ihr trennen, ist die Aussicht heute so klar, dass wir die Autos auf der Brücke erkennen können, die siebzig Meter über dem Wasser auf sechs Spuren fahren. Unter der Brücke schaukeln kleine weiße Segelboote im Wind. Und auch wenn ich mein Entzücken nicht so zeige wie Sophia, fühle ich mich doch immer wieder wie
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