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Ein Jahr in San Francisco

Ein Jahr in San Francisco

Titel: Ein Jahr in San Francisco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Bayers
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lilafarbene Haare, einen
Nasenring, heißt „Flower“ und raucht einen Joint.
    Du kriegst rund um die Uhr frisches mexikanisches Essen.
    Wenn du illegal Auto fährst, wird dir dein Führerschein
weggenommen. Wanderst du jedoch illegal ein, erhältst du sogar
einen Führerschein.
    Aus welchen Ländern deine Nachbarn kommen ist dir egal, denn du bist
viel zu sehr damit beschäftigt herauszufinden, welchem
Geschlecht sie angehören.
    Du willst hier nicht sterben.
    Ich verziehe keine Miene. „Nicht lustig?“, fragt sie. Wenn ich schlecht gelaunt bin, kann ich es auch so schnell nicht abstellen. Da helfen Sophias Checklisten nun auch nicht. „Doch doch, aber wieso sollte ich hier nicht sterben dürfen?“, frage ich miesepetrig. „Weil in San Francisco niemand begraben werden darf.“ – „Wieso das denn? Und wohin dann mit den Leichen?“ – „Weil San Francisco von fast allen Seiten vom Meer umschlossen ist, kann die Stadt nicht einfach erweitert werden. Viele der Menschen, die mit dem Goldrausch in die Stadt kamen, blieben bis zu ihrem Ende. Da man so viele Gebeine jedoch gar nicht unterbringen konnte, wurden die Toten kurzerhand außerhalb der Stadt begraben.“ Ich stelle mir vor, wie vor der Stadt ein Friedhof neben dem nächsten liegt – ein gruseliges Bild. „Es kam sogar noch härter“, erzählt sie. „Friedhöfe, die bereits vor dem Totenverbot errichtet worden waren, mussten geräumt werden. Doch bei all den Umbuddelaktionen wusste am Ende keiner mehr, wo die menschlichen Knochenüberreste überhaupt waren. Daher wurden die Grabsteine kurzerhand als Stützpfeiler für die Kanalisation der Stadt recycelt.“ – „Das ist ja schlimm.“ Da kann ich nur hoffen, dass ich meine letzte Ruhestätte nicht vor den Toren der Stadt haben werde.
    Der nächste Besichtigungstermin steht am Nachmittag in North Beach – Heimat italienischer Immigranten, Künstler und Freidenkender – an. Wir schlendern vorbei an urigen Gelaterias und Pizzerien. In den Espresso-Bars lesen alte Herren mit weißen Bärten italienische Tageszeitungen, Touristen nippen an ihrem Cappuccino. „Wenn ich nach North Beach zöge, würden wir ganz nah beieinander wohnen“, freue ich mich. „Ja, das wäre cool. Außerdem könnten wir immer zusammen essen und feiern gehen.“ Sophia steckt ihre Nase in die Tür eines Restaurants, aus dem uns der Duft frisch gebackener Pizzen entgegenweht. Nicht nur dasNachtleben hätten wir direkt vor der Tür, auch das Rotlichtmilieu liegt gleich um die Ecke. Ein Überbleibsel aus den Goldgräberzeiten, als San Francisco noch die gefährlichste und korrupteste Stadt der USA war: viel Alkohol, käuflicher Sex und Einwanderer aus aller Welt. Die Stadtteile rund um das heutige Financial District, Chinatown und North Beach wurden mit der afrikanischen Piratenküste verglichen und als Barbary Coast bezeichnet.
    Die Wohnung, die wir uns anschauen wollen, liegt unmittelbar am Broadway. Doch als wir unser Ziel erreicht haben, blickt Sophia sich skeptisch um. „Ich bin mir nicht sicher, ob du hier wirklich wohnen willst.“ Ich weiß die Antwort schon: „Nein!“ Die Wohnung befindet sich im Nachbarhaus des legendären Stripclubs Condor . Sophia bringt nur ein amüsiertes „OMG“ hervor, was übersetzt so viel bedeutet wie „O mein Gott“ oder „Ach, du Heilige“. „Es tut mir leid, das wusste ich auch nicht. Dafür bist du am Broadway mitten drin im Geschehen“, entschuldigt sie sich. Es ist ja schön, dass das Condor der erste Club war, der vor circa fünfzig Jahren die sexuellen Tabus gebrochen hat und topless Dancing in sein Programm aufnahm, aber direkt daneben wohnen muss ich nun wirklich nicht.
    „Ich brauche einen Drink, Sophia. Können wir nicht irgendwo eine Pause machen?“ – „Klar. Das Vesuvio ist ganz nah. Lass uns dort hingehen.“ Die berühmte Bar ist noch ganz im Style der Fünfzigerjahre gehalten, und die britische Zeitschrift „The Guardian“ hatte das Vesuvio vor einiger Zeit sogar zu einer der zehn besten Bars weltweit gekürt. Die Fenster, zusammengesetzt aus kleinen bunten Glasscheibenstücken, erinnern mich an Glasmosaike einer Kirche. Wir nippen an unserem rauchigen Anchor-Steam-Bier (das übrigens immer eine gute Alternative zum wässrig leichten Bud Light ist) und lassen dabei das Condor -Wohnungserlebnis Revue passieren. „Schau mal, das sind die Beatniks “,sagt Sophia dann und zeigt auf einige Fotos, die Dichter, Schriftsteller und Lebenskünstler aus dieser Zeit

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