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Ein Jahr in San Francisco

Ein Jahr in San Francisco

Titel: Ein Jahr in San Francisco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Bayers
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Running Clubs anschließen. Der Dolphin South End Runners nimmt Läufer jeden Levels auf und findet jeden Sonntagmorgen um neun Uhr statt. San Francisco Front Runners ist für die LGBT-Szene (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) bestimmt, gelaufen wird dienstagabends und samstagmorgens.
    Schließlich naht der große Tag: Schon morgens um halb sieben treffen wir uns zur gemeinsamen Verkleidungsaktion in Vijays Apartment in SoMa . Alle sind aufgeregt. „Wir müssen uns beeilen – hurry up, guys!“ Unsere Kostüme können sich sehen lassen – außer meinem. Da ich mir erst am Vorabend Gedanken dazu gemacht habe, bleibt mir nur die Variante „Eigenbau“, und ich entscheide mich kurzerhand, Baum zu werden. Ein paar Äste lassen sich schließlich überall auftreiben. „Du wirst großartig aussehen. Das kriegen wir schon hin. No hay problema“, beschwichtigtmich Mari Carmen und hilft mir dabei, die Äste, die ich heute morgen auf dem Weg noch gepflückt habe, möglichst tief in die feine braune Nylonstrumpfhose einzuweben. „Que bonita – wie schön.“ Mari Carmen schaut auf meine grün bepflanzten Beine. In diesem Moment suchen sich bereits die ersten Laufmaschen ihren Weg meine Waden entlang. Na großartig! Meine Gesichtsbemalung fehlt auch noch, und es bleiben nur noch wenige Minuten. Schnell malt Vijay mir das Gesicht schlichtweg grün. Mit einem Kajalstift deutet er rund um Nase und Wangen astähnliche Gebilde an, und bei einem Blick in den Spiegel muss ich feststellen, dass meine Kriegsbemalung so aussieht, als hätte ich mich soeben übergeben.
    „Hmm, very green“, stellt Vijay schmunzelnd fest. Was Nick wohl von mir denken muss? Im Spiegel sehe ich ihn seine Ritterrüstung zurechtrücken. Gut sieht er aus – der eiserne Ritter. Ich frage mich lediglich, wie er in diesem Panzer laufen kann. Sophia zieht ihre rot-schwarzen Flügel stramm und bepudert ihr üppiges Dekolleté mit rotem Glitzerstaub – sie geht als Marienkäfer. Rose, ebenfalls Insekt, hat sich in einen Schmetterling verwandelt und ist in ein fliederfarbenes Tüll-Kleid gehüllt. Sophia hilft ihr dabei, das Kostüm für das anstehende Rennen zu präparieren. Da Rose im Vergleich zu Sophia nur wenig Busen hat, muss Roses tiefer Ausschnitt mit einigen Blumenblüten ausgefüllt werden. Vijay kichert hinter vorgehaltener Hand, und ich brate ihm unauffällig eins über. Mari Carmen hat den Hawaii-Look gewählt. „Wie sollen die halben Kokosnüsse auf deiner Brust während des Laufs bitte halten?“ Nick malt sich aus, was passiert, wenn Mari Carmen ihre Nüsse verliert. Nathan, ein Freund von Vijay, und Vijay selbst wollen als Mogli und Balu aus dem Dschungelbuch auftreten. Vijays Mogli-Kostüm hätte beim Jugendschutz keine Chance. Das kleine rote Höschen in leichter Glanzoptik aus eng anliegendemSamtstoff ist neben ein paar künstlichen Lianenpflanzen, die er um den Hals trägt, sein einziges Kleidungsstück. Aufgrund der schlechten Stoffqualität hat sein dem Minimalismus huldigender Lendenschutz auch noch eine sehr transparente Farbe. „I need a light costume, friends. I sweat soo much“, rechtfertigt Vijay mit seinem indischen Englisch das Höschen.
    Wenig später machen uns mit unseren mehr oder weniger gelungenen Kostümen auf den Weg in das Financial District – möge der große Lauf beginnen! Wenn wir es wirklich von der Bay bis zu den Breakers schaffen, also von der Bucht bis zu den Wellenbrechern, dann hätten wir alle unseren Laufrekord gebrochen. Uns steht der Lauf unseres Lebens bevor. Vijay ist schon so aufgeregt, dass er in seinem knappen roten Schlüpfer ganz unruhig wird und wild auf der Stelle trippelt, und die bunten Plastik-Lianen flattern um seinen Hals.
    Die Straßen sind erfüllt von Lachen und Rufen, gespannte Erwartung liegt in der Luft. An den Straßenecken schallen Technobeats, Rockklassiker und bekannte House-Songs aus Boxen und vermengen sich zu einem quirligen Musikmix. Wir drängeln uns durch die Menschenmassen, um näher an die Startlinie an der Straßenecke Howard Street und Beale Street zu kommen. Plötzlich treffen uns helle runde Teigfladen an Kopf und Körper und direkt vor uns landen pfannkuchengroße, Frisbee-ähnliche Stücke auf dem Asphalt. Anstatt mit Konfetti werfen die Bay-to-Breakers -Verrückten lieber mit Tortillas. Immerhin haben sie die Eigenschaft, dass sie äußerst angenehm von oben auf den Körper oder Kopf klatschen, insbesondere auf nackte Körperteile, wovon es heute sowieso genug

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