Ein Jahr in San Francisco
Gepäckträger ihrer Fahrräder. Truthahn-Essen mit Football und Spielfilmen nonstop hätte mir für mein allererstes Thanksgiving-Fest allemal gereicht. Aber ich wäre ja nicht in San Francisco, wenn das Thanksgiving-Fest hier nicht etwas anders ablaufen würde als im Rest der Welt.
Für den Abend ist ein Thanksgiving-Dinner bei Rose geplant. Den Morgen solle ich mir jedoch freihalten und mich sportlich anziehen, lautet Vijays Befehl. Ich bin gespannt. „Hallo?“, frage ich in die Gegensprechanlage, als es am nächsten Morgen bei mir an der Tür klingelt. Ich bin alleine, Charles ist für mehrere Tage zu seiner Familie nach Michigan geflogen. Durch die Kamera des Türöffners erkenne ich lediglich etwas langes Gelbes, was der Form eines überdimensionierten Schnabels sehr nahekommt. Das tierische Gebilde tritt einen Schritt von der Kamera zurück und fängt dann an zu tanzen. Der rote Hautlappen zwischen Augen und Schnabel flattert im Wind, und der borstenartige Federbusch auf der Brust des Tieres wackelt hin und her. „Turkey-Abholservice – mach dich locker und komm runter“, quakt der Riesenvogel los. Als könnte es in San Francisco einen Monat ohne Verkleidungen geben! Aus dem Auto rufen mir zwei Hühner (Mari Carmen und Rose) und ein Honigkuchenpferd (Alex) gut gelaunt Happy-Thanksgiving-Grüße zu. „Hier, zieh das an.“ Mari Carmen wirft mir vom Auto aus ein flauschiges Kostüm in Gelborange zu. „Ein Kürbiskostüm?“ – „Ja, du musst es dir auf den Kopf setzen. Ist schön warm, ich habe es schon getestet.“ Ich setze es auf. Dumpf und leise klingt meine Stimme nun. „Das Ding muffelt“, rufe ich unter dem Kürbis hervor. „Solange du gut gucken kannst, ist alles okay“, stellt Mari Carmen fest und fuchtelt zum Test wild vor meinen Augen herum. „Bitte keinen zweiten Bay to Breakers im Kürbiskostüm“, flehe ich. „Keine Sorge – so lange wird’s nicht. Wir gehenzum Truthahnrennen in den Golden Gate Park. Es sind nur drei Kilometer“, sagt Mari Carmen und rückt den Kürbis auf meinem Kopf zurecht.
Im Golden Gate Park treffen wir auf einen großen Pulk von weiteren Geflügelfans, die rund um das Polo-Feld stehen und alle eine Startnummer auf ihrer Truthahnbrust tragen. Auch wenn ich keine große Lust darauf habe, im Kürbiskostüm im Kreis zu rennen, bin ich diesmal zumindest sportlich trainiert, denn Mari Carmen hatte mir zur Ablenkung von Nick ein „forget this guy & don’t put on any grief bacon“-Programm („vergiss den Typen und vermeide den Kummerspeck“-Programm) verordnet. Danach war ich fast jeden Tag wie eine Verrückte die Hügel rauf- und runtergerannt und abends mit Mari Carmen um die Häuser gezogen. Dank meines großen Kürbiskopfes falle ich während des Laufs zwei Mal in den kalten Matsch des Polo-Feldes, und die anderen amüsieren sich köstlich. Jede Menge Spaß also. Beim abendlichen Thanksgiving-Dinner in Roses WG im Presidio schmeckt nach dem langen Tag dann auch gleich alles wieder viel besser. Wir essen von vier Uhr nachmittags bis tief in die Nacht, schauen Football, spielen Gesellschaftsspiele und sagen ganz in der Tradition von Thanksgiving Danke für all das Gute, was uns im Leben widerfahren ist.
Streifzug:
Seien Sie stolz auf „Ihr“ San Francisco!
Denn hier werden Sie nie das „Normale“ finden. Nicht ohne Grund bezeichnete Präsident William Howard Taft San Francisco einst als city that knows how . Die Stadt ist nicht nur zur grünsten Stadt der Vereinigten Staaten von Amerika (basierend auf Kriterien wie CO 2 -Emissionen, Luftqualität, Energie- und Bodennutzung), sondern auch zur liberalsten und unamerikanischsten gewählt worden. Zudem besitzt San Francisco im US-weiten Vergleich laut einer Studie von der Unternehmensberatung Mercer die zweitbeste Lebensqualität – direkt nach Honolulu. Umfragen von America’s Favorite City zufolge belegt San Francisco jeweils einen der Top-5-Plätze in den folgenden Kategorien: aufregende Stadtviertel (Platz 1), Intelligenz/Bildungsniveau (Platz 1), Skyline (Platz 1), Diversität (Platz 3) und Sportlichkeit (Platz 5). San Francisco hat auch den größten innerstädtischen Nationalpark, die besten amerikanischen Laufbedingungen und die steilsten Straßen (Filbert und 22 nd Street). In architektonischer Hinsicht wartete San Francisco – zumindest bis 1964 – mit der längsten Hängebrücke der Welt auf. Ebenso bietet es seinen Besuchern das grünste Museum beziehungsweise Museumsdach der Welt, was Sie
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