Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
meine Mutter fragen, ob sie uns hinbringt, wenn du magst«, sage ich. »Ich glaube nicht, dass sie schon zum Kerzenmuseum aufgebrochen sind.«
Juli wirft mir einen unwilligen Blick zu. »Wovon redest du, Jenny?«
Mrs Leonard fährt sich mit der Hand durch die Haare oder versucht es zumindest. Sie bleibt an einer verfilzten Stelle hängen. »Wohin soll sie euch bringen?«, fragt sie.
»Nirgends«, sagt Juli schnell. Ich öffne den Mund, schließe ihn jedoch wieder, ohne etwas zu sagen.
Mit leiserer Stimme sagt Juli: »Jenny, bitte. Das beunruhigt Mum. Ich möchte versuchen, sie heute aus dem Schlafzimmer zu locken. Denk also nach, bevor du den Mund aufmachst.«
Ich weiß nicht, über was ich nachdenken soll, ehe ich rede, und ich weiß auch nicht, was ich von ihren Worten halten soll. Also murmle ich nur »Okay«, und beschließe, nichts weiter zu sagen.
Juli lächelt mir zu. »Danke, Jenny. Du bist eine so gute Freundin. Ich weiß nicht, wie wir alle das Jahr ohne dich hätten überstehen sollen.« Und ehe ich überhaupt fragen kann, was sie meint, geht sie ans Fenster und macht sich daran, die Vorhänge aufzuziehen. »So, Mum, jetzt komm«, sagt sie mit gespielt munterem Ton – als ob sie zu einer Patientin im Krankenhaus spricht, nicht mit ihrer üblichen fröhlichen Stimme, die ich seit wer weiß wie lange von ihr kenne. »Ich helfe dir beim Aufstehen, ja?«
Sie öffnet den ersten Vorhang, und ihre Mutter wendet sich ab.
»Mach wieder zu«, sagt sie bestimmt. »Dräng mich nicht, Juli; ich schaff das noch nicht.«
Juli lässt den Vorhang los und zieht seufzend die Luft ein. »Also gut«, sagt sie ruhig. »Möchtest du vielleicht eine Tasse Tee?«
Mrs Leonard nickt. »Danke«, flüstert sie. »Ihr seid so liebe Mädchen, alle beide.«
Ich folge Juli in die Küche. Jetzt reicht es. Ich muss wissen, was los ist.
»Juli«, sage ich.
»Mhmm?« Sie füllt den Wasserkocher an der Spüle.
»Hör mir zu.«
»Ich höre zu.«
»Juli, sieh mich an«, sage ich.
Sie knipst den Wasserkocher an und dreht sich um. »Was ist?« Sie sieht mich an. Ihr Gesicht ist so blass, ihre Augen sind so müde und groß und – traurig.
»Juli, was ist passiert?«, frage ich.
»Was meinst du?«
»Ich meine das alles! Deine Mutter, du, sogar das Apartment. Alles ist so anders!«
Juli sieht sich in der Wohnung um. »Ich weiß«, sagt sie. »Ziemlich schlimm, was? Was Besseres schaffen wir im Moment nicht, jetzt, wo das Einkommen weggefallen ist. Ich hab gar nicht kommen wollen, aber Mum und Dad haben gemeint, dass es helfen würde, du weißt schon, um damit fertigzuwerden.«
»Juli – hör auf!«, rufe ich und halte mir die Ohren zu. Ich kann das nicht mehr mit anhören. Ich halte es nicht aus, mit diesen Sachen konfrontiert zu werden, die ich nicht verstehe.
Juli macht einen Schritt auf mich zu. »Jenny, was ist denn?«, fragt sie mit besorgter Stimme. »Fehlt dir was? Ist was passiert?«
Ich schüttle den Kopf. »Ob mir was passiert ist?«, frage ich dumpf. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich hole tief Luft und stoße sie mit einem langen Pfeifton aus, während ich nach Worten ringe.
»Juli … mein Kopf platzt vor lauter Fragen, so dass er gleich explodiert.«
»Was für Fragen? Sag schon. Du kannst mir doch immer noch alles erzählen, das weißt du doch. Du musst das nicht sein lassen wegen der ganzen Geschichte. Ich bin immer noch deine beste Freundin.«
Ich nicke. Okay. Fragen. Wo soll ich anfangen?
»Wo ist dein Vater?«, frage ich schließlich.
Juli lacht trocken. »Wie ich schon gesagt habe, im Pub wahrscheinlich«, sagt sie. »Wo soll er sonst sein?«
Ihre Frage klingt ungefähr so rätselhaft wie alles andere. Julis Eltern sind fast nie getrennt, und normalerweise trinken sie nichts außer Sekt oder Cocktails. Mr Leonard ist nicht der Typ, der in der Kneipe um die Ecke rumhängt.
»Und wo ist Mikey?«, frage ich.
Julis Gesichtszüge entgleisen. »Warum fragst du mich das?«, sagt sie.
Ich starre sie an. »Ich dachte nur … er – weil er nicht hier ist. Ist er in seinem Zimmer?«
Juli starrt mich noch entgeisterter an; ihre Augen füllen sich mit Tränen.
»Juli, was ist los?«, frage ich. »Was ist passiert? Ist Mikey was passiert seit heute Morgen?«
»Seit heute Morgen ?«
»Oder – irgendwann?«
Juli reibt sich mit dem Handrücken über die Augen und wischt sich mit dem Ärmel über die Nase. »Du willst wirklich, dass ich dir vorbuchstabiere, wo Mikey ist?«, fragt
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