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Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Titel: Ein Jahr ohne Juli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Kessler
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da!« Die Tür schlägt zu, und Craig stürzt herein. Eine verlängerte Version des kleinen Craig. Er ist hochgeschossen. Er muss mindestens eine Handbreit gewachsen sein, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe – vor zwei Stunden! Sein Gesicht hat den Babyspeck verloren, und er hat zwei große Schneidezähne, wo vorher eine Lücke war.
    »Ratet mal, was?«, sagt er und sieht uns aufgeregt an. »Mum hat mit dem neuen Mann gesprochen, und er hat gesagt, wir dürfen im vordersten Wagen von dem Zug mitfahren, und ich darf beim Fahren helfen, er kennt nämlich den Lokomotivführer, und er hat gesagt, dass er extra ein Wort für uns einlegen will.«
    Er lässt sich dicht vor dem Fernseher auf den Boden fallen und schaltet ihn ein.
    »Hi, Liebes«, sagt Mum zu mir, folgt Craig ins Wohnzimmer und dreht automatisch den Ton leiser. Sie sieht müde aus und viel ernster als sonst. Ihr Haar ist zu einem straffen Knoten frisiert – und sie ist spindeldürr, verglichen mit heute Morgen. Na ja, heute Morgen war sie ja auch noch im achten Monat!
    Erst als sie zu Dad geht und ihm das Sonnenscheinchen abnimmt, wirkt sie wieder ein bisschen wie früher. Es ist, als ob der Anblick von dem Baby ein Licht in ihren Augen anzündet.
    »War es schön, Liebling?«, fragt Dad sanft.
    Mum macht sich an den Sachen des Babys zu schaffen. Ich habe ihm wohl die Strampelhose falsch herum angezogen, als ich die Windel gewechselt habe. »Sehr nett«, sagt sie und lächelt kurz. »Habt ihr die Windel gewechselt?«
    »Ich«, sage ich.
    Mum wendet sich an Dad. »Hast du daran gedacht, die Seitengitter hochzuklappen, als du sie ins Bett gebracht hast?«
    »Na klar.«
    »Ganz hoch?«
    Dads Stimme wird eine Spur angespannter. »Ja, Liebling, auf die oberste Einstellung.«
    Mum nickt. »So, wer will was trinken?«, fragt sie, setzt sich das Baby auf die Hüfte und geht in die Küche zurück. An der Spüle dreht sie sich ruckartig herum. »Tom, was soll das?«, fragt sie ärgerlich und deutet auf den Abwasch, der neben dem Becken auf dem Abtropfgestell liegt.
    Dad tritt zu ihr. »Äh …«
    Sie übergibt ihm das Baby und fängt an, die Sachen aus dem Gestell zu nehmen. »Messer, Tom? Du hast die Messer so offen herumliegen lassen?«
    »Ich bin gerade erst mit dem Abwasch fertig geworden«, sagt Dad, immer noch ruhig, aber schon leicht genervt. »Sie haben vorher auf der Anrichte und dem Tisch herumgelegen. Zumindest sind sie jetzt sauber.«
    »Ach, dann ist das wohl mein Fehler. Du hast saubere Messer herumliegen lassen, auf dem Abtropfgestell, nicht auf der Anrichte! Wirklich viel besser, was? Du weißt doch wohl, dass achtzig Prozent aller Haushaltsunfälle in der Küche passieren, oder?«
    »Ja, Schatz«, sagt Dad. Und leiser setzt er hinzu: »Das hast du mir schon ungefähr hundert Mal erzählt.«
    Mum schüttelt nur den Kopf und räumt geräuschvoll die Messer fort. Dann sieht sie sich im Zimmer um, als ob sie überprüfen will, ob noch mehr lebensbedrohende Sachen herumliegen. Erst als sie nichts findet, geht sie wieder zum Kühlschrank und nimmt den Saft heraus.
    »Will jemand?«, fragt sie, ohne einen von uns anzusehen.
    Ich betrachte Dad und stelle zum ersten Mal fest, dass auch er anders aussieht. Nicht so viel anders wie alle anderen, aber dennoch anders. Erschöpfter. Und er hat ein paar graue Fäden in seinem dunklen Haar, die heute Morgen noch nicht da waren, da bin ich sicher. Aber wer weiß, heute Morgen kommt mir schon vor wie vor einer Ewigkeit.
    Was hat sie denn? , frage ich ihn mit stummer Lippenbewegung.
    Dad zieht ein Gesicht, als wolle er sagen Lass sie einfach , dann reicht er mir das Baby. Er holt zwei Tassen aus dem Schrank, drückt Mum einen raschen Kuss auf die Wange und lächelt sie freundlich an, als sei sie eine alte Dame, der er über die Straße hilft. »Ich habe einen Tisch reserviert«, sagt er.
    Mum sieht ihn verständnislos an. »Einen Tisch?«
    »Für heute Abend; Hochzeitstag.«
    »Ach so, ja. Das. Solange Jenny auf Thea aufpasst.«
    Thea? Ich sehe das Baby an. Bist du das? »Klar mach ich das«, sage ich, überglücklich, den Abend mit meiner kleinen Schwester verbringen zu können.
    Mum sieht uns beide an. »Ich weiß nicht recht«, sagt sie zu Dad. »Können wir abwarten, wie es ihr später geht?«
    »Thea ist bei Jenny gut aufgehoben, und Craig ist es auch recht. Nicht, Craig?«
    Craig brummt eine Antwort, ohne den Blick vom Fernseher zu nehmen.
    Dad legt den Arm um Mums Taille. »Liebling, sie passen gut auf.

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