Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
ich habe nur Hagebuttentee, den magst du sicher nicht.«
»Ich brauche nichts, danke.« Ich winke ab. Es war ja auch nur ein halbherziges Angebot.
Sie setzt sich an den Tisch und deutet auf einen Stuhl gegenüber. »Also, was kann ich für dich tun?«, fragt sie und streicht vorne ihr Kleid glatt.
»Das weiß ich nicht so genau«, sage ich.
»Na, das fängt ja vielversprechend an!«
»Es ist nur – es ist nur so, dass sich alles verändert hat, nachdem ich hier bei Ihnen war.«
»Es hat sich alles verändert? Sie redet in Rätseln!«, sagt die Frau ins Zimmer hinein, als würden auf dem Sofa Zuschauer sitzen.
»Ich bin hierhergekommen. Wo Juli jedes Jahr wohnt.«
»Schon wieder Juli. Ich hab doch gesagt –«
»Wo sie bisher immer gewohnt hat«, fahre ich schnell fort. »Juli ist meine Freundin. Oder war es. Also, sie ist es noch immer, aber – wie auch immer, ich wollte sie hier besuchen.«
»Nun hör mal zu – wie heißt du? Und bitte sag nichts Albernes wie April oder Sonne.« Sie kneift missbilligend die Lippen zusammen. Wenn sie nur nicht so abweisend aussehen würde. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass es nicht gerade förderlich für ihre Geduld und Freundlichkeit ist, wenn irgendein Mädchen dreimal hintereinander bei ihr aufkreuzt und Unsinn labert.
»Jenny«, sage ich. »Mit Ypsilon.«
Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Gut. Also, Jenny mit Ypsilon, ich heiße Mrs Smith. Übrigens mit einem I – nicht sehr originell, ich weiß. Dafür kann ich aber nichts.« Dann lächelt sie etwas.
»Macht doch nichts«, sage ich. Jedes Mal, wenn ich den Mund öffne, komme ich mir alberner vor.
»Dann erzähl doch mal, Jenny«, fährt Mrs Smith fort, »warum du dir so sicher warst, deine Freundin hier zu finden.«
»Das hier war immer ihre Ferienwohnung. Heute Morgen noch habe ich sie hier besucht. Sie hat selbst bestätigt, dass es hier und nirgendwo anders ist. Ich hab sie die Nummer wiederholen lassen, um ganz sicher zu sein.«
Mrs Smith starrt mich lange an. Ich starre zurück. Dabei ist es, als ob ich durch die Fassade blicken kann, die sie schützend aufgebaut hat, direkt hindurch, und ich sehe die Frau, die ich beim ersten Mal hier angetroffen habe. Die freundliche, hilfsbereite nette Dame – bei der noch nicht dreimal so ein Mädchen aufgekreuzt war, das unsinnige Geschichten erzählt.
»Es tut mir leid«, sage ich, um sie zu beruhigen. Warum sollte sie in mein verrücktes Durcheinander hineingezogen werden? »Wissen Sie, ich muss mich getäuscht haben. Ich habe mich getäuscht. Ich weiß nur nicht, wie oder warum ich die einzige Person bin, die nicht Schritt halten kann mit Geschehnissen, die den anderen ganz geläufig sind.«
Mrs Smith sagt nichts. Sie starrt mich nur an. Ich habe das Gefühl, sie kann tief in mich hineinsehen, bis in meine Seele. Können Sie die Wahrheit darin erkennen? Können Sie mir sagen, was passiert ist?
»Ja, Liebes«, sagt sie mit einer Stimme, die so sanft ist wie bei meinem ersten Besuch. »Du hast dich eben getäuscht. Jeder macht mal Fehler.«
»Aber ich habe keinen Feh…«, fange ich an, dann breche ich ab. Wozu? Ich will sie ja nicht wieder verärgern.
»Sie müssen wohl eine andere Wohnung übernommen haben«, fährt sie fort. »Deine Freundin hat sich wohl genauso getäuscht wie du. Ich bin erst seit einem Jahr hier.« Sie verstummt und senkt leicht die Augenlider. »Genaugenommen mein erstes Jahr seit einer langen …« Plötzlich werden ihre Augen ganz feucht und sie streicht sich wieder das Kleid glatt und steht auf. »Du nimmst doch wenigstens ein Glas Wasser, nicht?«, sagt sie, wischt sich mit dem Arm über die Augen und geht an den Wasserhahn. »An so einem heißen Tag.«
»Ich … ja, okay«, sage ich, als sie mit zwei Gläsern Wasser an den Tisch zurückkommt. Sie setzt sich und starrt in ihr Glas.
»Das ist also Ihr erstes Jahr in dieser Wohnung?«, gebe ich einen Anstoß.
Mrs Smith blickt zu mir auf, als ob sie sich gerade daran erinnert, dass ich da bin. »Richtig, ja«, sagt sie munter. »Das ist des Rätsels Lösung, verstehst du? Du hast das nicht gewusst. Deine Freundin ist in eine andere Wohnung gezogen und hat dir die falsche Nummer gesagt. Kann doch passieren. Du findest sie bestimmt. Warum fragst du nicht jemanden, in welchem Apartment sie jetzt ist?«
»Das brauche ich nicht – ich habe sie schon gefunden!«
Jetzt macht Mrs Smith etwas ganz Seltsames. Irgendwie schafft sie es, gleichzeitig erleichtert und
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