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Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Titel: Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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ging zur Tür hinaus.
    Als nächstes kam die Lektion: Einsteigen durch ein Fenster.
    »Wenn ich dir Geld gebe, kannst du mir dann etwas besorgen?«
    Graham stand auf der Feuerleiter. »Was? Bier? Zigaretten? Präser?«
    »Ein Buch.«
    Neal hatte dem Zimmer den Rücken zugewandt; seine Füße ragten bereits hinein.
    »Ein Buch? Willst du wirklich so durch das Fenster klettern? Du kannst doch gar nicht sehen, ob dich da drin irgendwer mit einer Bazooka erwartet. Was für ein Buch, Neal? Schwedische Sex-Sklavinnen? Ruby und die Feuerwehrmänner? So was?«
    Neal kletterte wieder hinaus. »Tom Jones.«
    Er kletterte wieder hinein, diesmal Kopf voran.
    »Tom Jones? Ist das irgendein Schweinekram?«
    »Zumindest darf ich’s mir nicht kaufen.«
    »Bist du wirklich so blöd, Neal, oder hat dein Hirn heute frei? Willst du wirklich mit dem Kopf voran durchs Fenster in ein Appartement einsteigen? Falls einer da ist, kommst du auf ‘ner Bahre wieder raus.«
    Neal zog den Kopf zurück. »Machst du’s?«
    »Was ist denn so wichtig an diesem Buch?«
    »David Copperfield hat es gelesen, als er jung war. Weißt du, wer David Copperfield ist?«
    »Natürlich weiß ich, wer David Copperfield ist. Ich hab beide Filme gesehen. Freddie Bartholomew und W. C. Fields.«
    »Echt? W. C. Fields? Wen hat er gespielt?«
    »Ich weiß nicht. Er war chronisch pleite und schuldete irgendwem Geld.«
    »Mr. Micawber.«
    »Ja, okay. Wenn der literarische Exkurs beendet ist, könnte Mr. Carey mir dann bitte den korrekten Weg zeigen, eine Wohnung durchs Fenster zu betreten? Oder soll ich zuerst Tee servieren?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was weißt du nicht?«
    »Den korrekten Weg, eine Wohnung durchs Fenster zu betreten.«
    »Warum hast du nicht gefragt?« 
     
    Füße vor, Gesicht zum Fenster, und dann nichts wie rein. Wie ein Affe. Dann vorsichtig durch die Küche und den Flur ins Schlafzimmer. Nicht auf Zehenspitzen. Zehenspitzen sind was für Ballett-Tänzer und Idioten. Zuerst schnappst du dir irgend etwas einigermaßen Wertvolles und steckst es in die Tasche. Wenn dich jemand erwischt, wehr dich nicht. Laß ihn die Bullen rufen. Levine wird dich abführen.
    Jetzt bist du im Schlafzimmer. Er schläft. Du steckst seine Uhr ein. Versteckst das kleine Mikro unter dem Nachttisch. Legst die Uhr zurück. Ich sagte, du legst die Uhr zurück. Jetzt auf demselben Weg zurück.
    Kinderleicht. Dein Vater hat dich gut unterrichtet. Und jetzt ab nach Hause, ein Fertiggericht und dann ein gutes Buch.
    So wuchs Neal Carey auf und lernte ein nützliches Handwerk.
     
     
9
     
    »Heute«, sagte Joe Graham und grinste ebenso breit wie gemein, »spielen wir ein Spiel.«
    »Prima«, sagte Neal, der über den für 16jährige typischen Sinn für Ironie verfügte.
    Sie saßen in Grahams Appartement in der 26. Straße, zwischen Second und Third Avenue. Das Appartement sah aus wie ein OP, bloß kleiner. Alle Oberflächen in der effizienten Küche glitzerten; Spülbecken und Wasserhahn schimmerten rein wie die Seele eines katholischen Mädchens, das gerade von der Beichte kommt. Neal fragte sich, wie ein Einarmiger das Bett so akkurat machen konnte. Graham war vor zehn Jahren eingezogen, weil damals viele Iren hier wohnten. Die waren allerdings mittlerweile alle nach Queens gezogen und fielen nur noch Samstagabends ein, um in den Kneipen irische Songs über tote Engländer zu hören.
    Es war ein ungewöhnlich warmer Samstagnachmittag im Herbst. Neal hätte lieber draußen die Sonne genossen, und zwar in Gesellschaft von Carol Metzger, mit der er durch den Riverside Park spazieren und dann ins Kino gehen wollte. Statt dessen war er in Grahams Reinlichkeits-Schrein gefangen und sollte ein Spiel spielen.
    »Das Spiel heißt Verstecken-und-Ficken«, verkündete Graham. »Die Regeln sind einfach. Ich verstecke was, und du fickst dich selber.«
    »Du hast gewonnen. Kann ich jetzt gehen?«
    »Nein. So, und nun stellen wir uns mal vor, ich hätte meinen Ohrring verloren…«
    »Deinen Ohrring?«
    »Spiel einfach mit. Ich hab meinen Ohrring verloren. Irgendwo hier im Appartement. Finde ihn.«
    »Und was tust du?«
    »Ich trink ein Bier.«
    »Kann ich auch eins haben?«
    »Nein. Und jetzt such den Ohrring.«
    Graham ging zum Kühlschrank und holte sich eine eiskalte Flasche. Dann setzte er sich auf einen Küchenstuhl und widmete sich dem Sportteil der Daily News.
    Neal fing an zu suchen. Wenn er dieses Ding schnell fände, würde Graham ihn vielleicht freilassen, und dann könnte er

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