Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
schweigend da. Dann sagte sie: »Ich vermute, so was wie ein Radio gibt’s hier nicht.«
»Die Antwort ist so was wie: nein.«
»Ja, ja, mach dich nur lustig.«
Sie stand auf. Langsam. Es sah aus, als ob es weh tat. Sie ging zum Fenster und sah hinaus. »Schön.«
»Yeah.« Tolle Antwort, dachte Neal.
»Ich stinke.«
»Sei nicht so hart mit dir.«
»Nein, ich meine, ich rieche. So was wie: schlecht.«
Soweit zu Dr. Carey und seiner Motivations-Therapie. »Willst du baden?«
»So was wie: ja.« Sie lächelte ihn an. Wenn du dich über mich lustig machen kannst, schien sie zu denken, kann ich das auch.
»Die Antwort ist so was wie: okay.«
»Wo ist das Badezimmer? Ich weiß nicht mehr…«
»Draußen.«
»Jetzt bleib mal ernst.«
»Ich bin ernst.«
Sie starrte ihn an. »Nächstes Mal gehe ich ins Hotel.«
Nächstes Mal?
»Komm. Ich zeig’s dir.« Sie brauchten gut fünf Minuten für die hundert Meter bis zur Wanne. Sie ging wie eine alte Frau. Sie mußten zweimal Pause machen, und sie beugte sich vor, um die Schmerzen in der Lendengegend zu erleichtern.
»Ich hole einen Stuhl, dann kannst du eine Weile hier draußen sitzen. Die Luft wird dir guttun.«
»Und was machst du?«
»Ich mach das Wasser heiß.«
»Warum bist du so nett zu mir?«
»Weil ich ein Trottel bin.«
»Kann ich dann noch Tee haben?«
Er nahm ihre Tasse und ging zurück ins Haus. Student, Schnüffler, Butler. Während er darauf wartete, daß das Wasser heiß wurde, sah er alle paar Minuten nach ihr, um sich zu vergewissern, daß sie nicht in Richtung Dorf humpelte, um mit dem nächsten Bus zurück nach London und zur Nadel zu fahren. Trau niemals einem Junkie, dachte er. Aber sie blieb sitzen, döste hin und wieder ein oder sah den Schäfchenwolken zu.
Als das Wasser heiß genug war, füllte Neal es in die Wanne. Sie stand auf. Ihr Blick wanderte unruhig von der Wanne zu Neal und wieder zurück zur Wanne.
»Was?«
»Ich glaube nicht, daß ich das schaffe.« Sie versuchte, ihr linkes Bein zu heben. Sie brachte ihren Fuß kaum auf Kniehöhe.
»Soll ich dir helfen?« fragte er.
»Ich muß mich ausziehen«, wandte sie ein. »Vor dir.«
Eine verschämte Prostituierte? dachte er. Ganz was Neues.
»Alice, ziehst du dich nicht dauernd vor anderen Männern aus?«
»Das ist was anderes. Sie sind Fremde.« Dieser verkehrten Logik konnte er folgen.
»Okay. Ich dreh mich um. Du ziehst dich aus. Dann helf ich dir schnell in die Wanne und gehe weg. Und komme erst wieder, wenn du mich rufst und wieder raus willst.«
»Ich weiß nicht.«
»Das Wasser wird kalt. Wenn du nicht badest, bade ich.« Sie dachte einen Moment darüber nach. Neal beobachtete sie, um zu sehen, ob es nur ein Spiel war, ein nettes kleines Verführden-Cop-Spiel. Aber sie schien sich wirklich zu schämen.
»Okay. Aber guck dir nichts an, was du nicht angucken mußt.«
»Stell dir einfach vor, ich wäre dein Arzt.«
»Ich könnte dir Geschichten von Ärzten erzählen…«
Er drehte sich um und konnte hören, wie sie mit ihren Klamotten kämpfte. Es dauerte ein paar Minuten. Dann seufzte sie und sagte: »Fertig.«
Er versuchte, seinen Blick nicht wandern zu lassen, aber man weiß ja, wie das ist, wenn man etwas nicht ansehen soll. Ihr Körper war wunderschön, und Neal verscheuchte schnell seine unkeuschen Gedanken.
»Komm, bevor das Wasser kalt wird«, sagte sie, kreuzte die Arme vor ihren Brüsten und blickte weg. Es schien ihm die verführerischste Geste zu sein, die er je gesehen hatte.
»Dreh dich um«, sagte er.
»Was?«
»Damit ich dich in die Wanne heben kann, du Dummchen.«
»Du mußt nicht wütend auf mich werden.«
»Ich bin nicht wütend.«
»Du klingst wütend.«
Neal gab sich alle Mühe, sie nicht anzustarren, während er sie um die Taille faßte und in die Wanne hob.
Sie quietschte, als sie das Wasser berührte. »Es ist kochendheiß!«
»In einer Minute fühlst du dich gut.«
»Gehst du jetzt rein?«
»Bin schon unterwegs. Und versuch bitte nicht, alleine rauszukommen. Du könntest umkippen und dir den Kopfstoßen.« Er hörte sich an wie irgend jemandes Mutter.
Ich muß weg von diesem Business, dachte er. Er ging ins Haus, trank zwei Tassen Tee und aß sechs Vollkornkekse.
»Neal.«
»Was?«
»Ich will raus!«
»Okay!«
Sie hatte gut eine halbe Stunde in der Wanne gelegen. Er hatte alle paar Minuten hinausgesehen, nur um sicherzugehen, daß sie nicht ertrunken oder weggelaufen war. Als er aus dem Landhaus kam, saß sie
Weitere Kostenlose Bücher