Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
schon in Frankreich rum, ließ sich die Sonne auf den Pelz brennen, aber so dumm, seinen Verfolgern das auf die Nase zu binden, war Crisp nun auch wieder nicht. Er wollte sie bei Laune halten. Also lief er durch London, als wüßte er, wo er suchen sollte.
Colin, dafür wirst du büßen.
Im Geiste kehrte Colin immer wieder in die Wohnung in der Regent’s Park Road zurück. Es war eine unangenehme Erinnerung, und er wußte, daß er Fehler gemacht hatte, aber nur dort konnte er anfangen zu suchen. Er lag auf seiner stinkigen Matratze und dachte darüber nach. Stellte sich immer wieder dieselben Fragen. Wessen Wohnung ist das? Warum hatte Neal sich dort verkrochen?
Vielleicht, um ein Buch zu verkaufen.
Oder vielleicht, um eins mitzunehmen.
Für Colin gab es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
30
Zu seiner eigenen Überraschung gefielen Neal die Tagesanbrüche am besten. Er war immer ein Nachtmensch gewesen, aber die kühlen, stillen Yorkshire-Morgen faszinierten ihn sehr. Er stand lange vor Allie auf, die auch eine Woche nach ihrem letzten Schuß noch schlimme Nächte hatte. Während sie ihre Erschöpfung ausschlief, zündete Neal im Herd und im Kamin Feuer an und schleppte Wasser zur Badewanne. Er zwang sich, in das kalte Wasser zu steigen, und nach einiger Zeit fand er es sogar erfrischend. Er wusch sich schnell die Haare, rubbelte sich trocken und lief zurück ins Haus, um sich vor dem Kamin zu wärmen. Er machte Wasser auf dem Herd heiß, braute sich einen kräftigen Tee, nahm reichlich Milch und Zucker. Dann röstete er über dem offenen Feuer Toast und aß ihn draußen, bei einer zweiten Tasse Tee. Alles, was ihm fehlte, war eine Zeitung, aber nach ein paar Tagen fehlte ihm nicht einmal mehr die. Es interessierte ihn nicht, wer wen umgebracht hatte, nicht einmal, wo die Yankees standen. Hier draußen schien das völlig unwichtig.
Manchmal dachte er in den frühen, kühlen Morgenstunden daran, einfach zu verschwinden und sich dem ganzen Ärger zu entziehen, der auf ihn wartete. Die Stille und die Abgeschiedenheit wirkten wie eine Droge. Er fing an, Colin zu vergessen, John Chase, und sogar, daß Levine ihn reingelegt hatte. Es würde eine Zeit kommen, sich mit all dem zu beschäftigen.
Manchmal las er während der zweiten und dritten Tasse in einem Buch, und manchmal saß er einfach nur da – er hatte sich nie vorstellen können, so etwas zu tun – und genoß die Morgendämmerung. Er beobachtete, wie der Nebel im Tal verschwand und wie der Schafhirte und sein Hund die Herde auf die Weide trieben.
Eine Stunde Stille, bevor Allie aufwachte. Er hörte sie die Treppe heruntergehen, nach ihm in der Küche suchen, und dann kam sie hinaus. Sie brachte ihre Tasse mit und machte die Teekanne leer. Sie mochte den Tee zuckersüß und schmierte reichlich Butter und Marmelade auf ihren Toast.
In diesen frühen Morgenstunden sprachen sie kaum.
Manchmal erzählte sie ihm von ihren Träumen, aber meistens saßen sie einfach nur da und hörten dem Morgen zu. Manchmal schlief sie für ein paar Minuten auf ihrem Stuhl ein, und dann wußte er, daß die Träume schlimm und ihr Schlaf unruhig gewesen waren. An anderen Morgen zündete sie sich eine ihrer letzten Zigaretten an und rauchte sie langsam, mit tiefen, langen Zügen. Sie lehnte sich zurück und starrte in den Himmel, und Neal mußte nicht fragen, um zu wissen, was sie dachte.
Immer war es Allie, die die Ruhe durchbrach. Sie stand plötzlich auf und trug Kanne und Tassen zurück ins Haus. Ein paar Minuten später kam sie zurück, angezogen und mit gekämmtem Haar, und schubste ihn vorsichtig an, wenn er eingedöst war. Er stand auf, und sie spazierten bis auf den Gipfel des Hügels. Das erste Mal, Allie war seit drei Tagen auf Entzug, waren sie langsam vorangekommen, und sie hatte sich alle paar Minuten auf seinen Arm stützen müssen. Er wußte, daß ihr das nicht paßte. Dann wurden die morgendlichen Spaziergänge ein Symbol ihrer Unabhängigkeit und ihres Wandels, und er ließ stets sie das Tempo bestimmen. Sie erholte sich schnell.
Jenseits des Hügels lag ein dicht bewaldetes Tal, ein starker Kontrast zu der rauhen Schönheit des Moores. Sie fanden ein paar Steine, auf denen sie über den Bach balancieren konnten, und dahinter einen kleinen Trampelpfad durch das dichte Unterholz. Es war kühl in dem Wäldchen, kühl und dunkel. Vögel, die sie noch nie gesehen hatten, hopsten vor ihnen her. Machmal blieben Neal und Allie in der
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