Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
genauso schwer zu finden wie ein guter Arbeiter. Wenn Jim aufgibt, tue ich es ihm wahrscheinlich gleich. Ziehe in die Stadt und falle den Witwen lästig.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie jemandem lästig fallen«, wehrte Allie ab, und Neal war überzeugt, daß sie es ernst meinte.
»Das haben Sie nett gesagt, wo ich doch schon fast alle Ihre Kekse gegessen habe. Nächstes Mal, wenn ich komme, schieße ich Ihnen die Steine aus dem Garten, als Bezahlung.«
Er deutete auf die Flinte und zwinkerte.
»Aber wir haben doch gar keinen Garten«, sagte Allie.
»Ich weiß«, kicherte Hardin. Allie und Neal stimmten ein, nur Jim lachte nicht. Vielleicht kannte er den Witz schon.
Hardin trank seinen Tee aus, steckte einen Keks in die Manteltasche – »Für Jim« – und verabschiedete sich. Allie sagte, er könne gern jederzeit wieder vorbeikommen.
Das tat er auch, meistens zur Teezeit.
Nach einem von Hardins Besuchen, bei dem sie eine Stunde lang wieder Mann und Frau gespielt hatten, wurde Allie plötzlich ganz still. Nach einer Weile fragte sie: »Wenn wir in die Staaten geflogen sind und das Buch verkauft haben… das Geld geteilt haben… was dann?«
»Wie meinst du das?«
»Ich geh meiner Wege, du gehst deiner?«
Wenn ich meinen Weg nur wüßte, Allie.
»Ich weiß nicht.«
»Oh. Ich dachte, daß du mich magst«, sagte sie.
»Tu ich auch.«
»Warum hast du dann noch nichts deswegen getan?«
»Mein Gott, ich habe dich gekidnappt. Was könnte ich denn noch tun?«
Neal stand auf und ging hinaus in den Regen.
Er war klatschnaß, als er zurückkam, und genauso durcheinander wie vorher. Sie erwartete ihn an der Tür mit einem Handtuch und einem Laken.
»Du bist verrückt«, sagte sie, während sie ihn abtrocknete.
»Da würde ich dir nicht widersprechen.«
»Wie heißt es im Kino immer so schön«, sagte sie so empört wie möglich: »Zieh dir sofort die nassen Sachen aus, sonst holst du dir noch den Tod!«
Neal stiefelte die Treppe hinauf. Er fragte sich, was mit ihm los war. Es hatte als ganz normaler Job angefangen. Ich schmiere ab, dachte er, spiele mit einem Teenager »Familie«, abgeschnitten von den Freunden. Und das einzig Bekloppte, was ich noch nicht getan habe, ist, mit ihr ins Bett zu steigen. Hast du gerade »noch nicht« gedacht? Mein Gott. Es war der 20. Juli, die Zeit wurde knapp, und er wußte nicht, was er tun sollte.
Zum Abendessen gab es Kartoffeln und Schinken. Sie sprachen wenig.
Das Quietschen der Schlafzimmertür weckte Neal.
Allie stand da in einem Flanellhemd, das sie in einer Kommode gefunden hatte.
»Alles okay?« fragte er.
»Ich muß mit dir reden.«
Warum wollen diese Chase-Frauen immer mitten in der Nacht mit mir reden, fragte sich Neal.
Allie setzte sich auf seine Bettkante. Das machte ihm ein wenig Angst. Sie sprach langsam und vorsichtig, als hätte sie jedes Wort geprobt. »Es gibt etwas, das du über mich wissen solltest.«
Das ist lustig, Allie. Es gibt nämlich auch etwas, daß du über mich nicht wissen solltest.
»Wenn wir Partner werden«, fuhr sie fort.
»Also los«, sagte Neal. Er fühlte sich schuldig. Allie, dachte er, ich weiß es schon.
»Ich… Gott, ist das schwer… Ich bin nicht einfach so weggelaufen. Ich meine, ohne Grund. Das gilt auch für die Drogen. Ich mein, ich weiß, daß ich Mist gebaut habe…« Sie hielt inne und ließ den Kopf hängen. Starrte auf den rauhen Stoff seines Bettbezuges.
»Du mußt es mir nicht sagen«, sagte Neal. »Wir sind so oder so Partner.«
»Ich möchte aber. Es ist wichtig für mich.«
Neal nickte.
»Mein Vater…«
Ich weiß, Baby, ich weiß.
Tränen tropften auf sein Bett.
»Er… er und ich… nein, er… hat…«
Neal zwang sich, sie anzusehen, zwang sich, ihr Kinn anzuheben und ihr in die Augen zu sehen.
»Ich glaube…« sagte sie, »das Wort ist Inzest.«
Er streichelte ihre Wange. »Wie furchtbar. Das tut mir leid. Tut mir so leid.«
»Durch die Drogen konnte ich es vergessen… und der Sex… war meine Rache. Glaube ich. Ich weiß nicht.«
Neal spürte ihre Tränen an seiner Schulter. Du kannst ihr den Schmerz nehmen, dachte er, nicht alles, aber viel. Wenn du auch nur halb soviel Mumm hättest wie sie, würdest du ihr die Wahrheit sagen. Er ist nicht dein Vater, Allie. Du mußt mit ‘ner Menge leben, aber damit nicht. Er ist nicht dein Vater.
Aber wenn ich dir das jetzt sage, dann platzt die ganze Sache, und ich habe nicht den Mut, das zu riskieren. Tut mir
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