Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
Regent’s Park Road folgte.
Er wartete eine halbe Stunde vor dem Haus, um zu sehen, ob jemand Licht machte. Dann entschied er, daß entweder niemand zu Hause war oder die Bewohner schliefen. Er schlich die Treppe hoch, lautlos wie eine Büffelherde, und blieb vor der Eingangstür stehen. Unangenehme Erinnerungen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Er ließ sich hinein.
Seine Augen mußten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, dann zog er die Jalousien herunter. Er lauschte ein paar Sekunden. Schaltete eine Lampe an. Jetzt fiel ihm auf, was er bei seinem letzten Besuch übersehen hatte: Bücher, überall Bücher. Das konnte ein Anfang sein.
Er wußte nicht genau, wonach er suchte, aber er wußte, daß diese Wohnung sein einziger Hinweis auf den Verbleib von Neal war. Er traute sich nicht, in das Hotel zu gehen, weil Dickie Huan zwanzig Sekunden später davon wüßte, so gut, wie er sich mit diesem Hurensohn-Hausbullen von Hatcher verstand. Außerdem interessierte ihn nicht, von wo Neal verschwunden war, sondern wohin er verschwunden war. Schließlich hatte er nicht damit gerechnet, hier gefunden zu werden.
Colin brauchte nicht lange, um herauszufinden, daß die Wohnung einem gewissen Simon Keyes gehörte und dieser einen Büchertick hatte. Konnte er Neals geheimnisvoller Käufer sein? Aber die Wohnung sah nicht aus wie die eines Mannes, der zwanzigtausend Mäuse für ein Buch ausgeben konnte.
Oder? Denk nach, Colin. Wenn du gestohlene Sachen kaufen würdest, ließest du sie dir nach Hause liefern? Guten Tag, darf ich Ihnen meine Frau vorstellen, und legen Sie die Sachen doch bitte dorthin. Nein. Du hättest irgendwo dein kleines Versteck. Ein kleines Liebesnest für Bücher. Wo du nachmittags hinkönntest, um ein bißchen mit den Bänden zu kuscheln, mit den Fingern über ihre Seiten zu streicheln, die Ledercover zu liebkosen. Du bist ein Schwein, Colin, aber ein pfiffiges.
Doch das brachte ihn noch nicht näher an Neal heran. Wo bist du hin, Neal, mit dem tollen Wagen und dem tollen Mädchen? Sehen wir doch mal…
Er stemmte Simons Schreibtischschublade auf und wühlte sie durch. Briefe. Der schien wirklich gerne zu schreiben. Und er hatte Durchschläge von jedem Brief, den er jemals geschrieben hatte. Aber kein Wort über Neal, nur dieser Autor und jener Verleger, und kommst du bitte nächstes Wochenende hoch ins Moor, klang das nicht nett? Er versuchte es auf dem kleinen Beistelltisch. Noch langweiliger. Bücherkataloge, Bücherkataloge mit Bildern, schriftliche Gebote an Sotheby’s, der Typ schmiß wirklich ‘ne Menge Kohle für Bücher raus, und du bist ein Idiot, Colin. Da war was in seinem Kopf. Hoch ins Moor? Hoch?
Zurück zum Schreibtisch. Der Brief…
»Lieber Larry«, und dann dies und das, höfliches Geplapper, jetzt kam es, »bitte komm doch nächstes Wochenende hoch ins Moor«. Dann eine Menge Quatsch, wie nett das werden würde, die Zeit mit ihm und Mary, und dann, Bingo, die Strecke. M-11 hoch bis… klingt gut, klingelt da nicht was? Ding-Dong? Big Ben?
Vielleicht, dachte Colin, muß ich mich ins Moor einladen, zu einer kleinen, ganz privaten Wochenend-Party. Er steckte den Durchschlag des Briefes ein, verließ die Wohnung und ging die Treppe hinunter. Er dachte gerade, daß das Leben vielleicht doch mehr als nur ein großer Tritt in die Eier war, als er einen Tritt genau dorthin bekam und in die Knie ging. Mit Tränenaugen konnte er das grinsende Gesicht von einem von Dickie Huans Jungs erkennen, und hinter ihm Crisp, der sehr erleichtert aussah.
»Na danke«, fauchte Colin Crisp an, »gottverfluchtes Scheiß-Danke, du Arsch.«
Sie hatten ihn in einen Wagen gezerrt. Einer der Chinesen fuhr, der andere zielte mit einer Pistole auf die beiden Gefangenen.
»Du hättest ja was sagen können, Colin. ›Übrigens, Crisp, alter Junge, wenn die Sache danebengeht, sind Dickie Huans Jungs hinter uns her.‹ Aber du hast mich einfach im Regen stehengelassen. Was sollte ich denn machen?«
»Wie hast du mich gefunden?«
»Na, es war nich allzu clever, dich bei dei’m Opa zu verstecken, nich? Du has schließlich nur zwei Verwandte.«
»Aber das wußten sie nicht. Nur mein alter Freund Crisp wußte das.«
»Ich würde mit dem Gesicht nach unten im Fluß treiben, wenn ich’s nicht gewußt hätte.«
»An der nächsten Ampel spring ich raus.«
»Sie sprechen englisch, du Blödi.«
»Das stimmt, du Blödi«, grinste der mit der Pistole. »Also laß es lieber.«
Sie fuhren durch Soho
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