Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
da die Sache zu heikel und verstörend war. Auf dem karibischen Faktor war unbarmherzig herumgeritten worden. Die Anzahl der Mädchen war auf elf eingeschränkt worden; vor Rosita Esperanza im Januar 1964 war kein Fall mehr ans Licht gekommen. Und natürlich hatte die Presse dem Mörder einen Spitznamen gegeben: das Monster von Connecticut.
Das Leben am Hug war nicht mehr länger nur eine Frage eines kleinen Triumphs im Verhalten von Kaliumionen auf dem Weg durch die neuronale Zellmembran oder eines großen Triumphs, als Eustace aufgrund einer kitzelartigen elektrischen Stimulation seines Ellennervs einen epileptischen fokalen Schläfenlappenanfall entwickelte. Jetzt war das Leben am Hug voller Anspannung, die in schrägen Seitenblicken zum Ausdruck kam, in Feststellungen, die nicht zu Ende gesprochen wurden, und in dem beklommenen Meiden des einen Themas, das praktisch jedem Hugger durch den Kopf ging. Einen kleinen Trost gab es allerdings: Die Polizei hatte offenbar ihre ständigen Besuche eingestellt, sogar Lieutenant Delmonico, der acht Tage lang sämtliche Etagen heimgesucht hatte.
Die Risse, die im Sozialgefüge des Hug entstanden, hatten größtenteils mit Dr. Kurt Schiller zu tun.
»Bleiben Sie mir aus den Augen, Sie Nazi-Schwein!«, brüllte Dr. Maurice Finch, als Schiller vorbeikam, um sich nach einer Gewebeprobe zu erkundigen.
»Ja, Sie dürfen mich beschimpfen«, erwiderte Schiller nach Luft schnappend, »aber ich darf mich nicht revanchieren unter all den amerikanischen Juden hier!«
»Wenn es nach mir ginge, würden Sie deportiert!«, knurrte Finch.
»Sie können keine ganze Nation für die Verbrechen einiger weniger verantwortlich machen«, insistierte Schiller mit bleichem Gesicht.
»Wer sagt, dass ich das nicht kann? Ihr seid
alle
schuldig!«
Charles Ponsonby beendete den Zwischenfall, indem er Schillers Arm ergriff und ihn zurück in sein eigenes Reich begleitete.
»Ich habe nichts getan!«, jammerte Schiller. »Woher wissen wir, dass der Körper zerlegt wurde, um verbrannt zu werden? Alles nur Klatsch und Tratsch! Böses Gerede! Ich habe nichts getan!«
»Mein lieber Kurt, Maurice’ Reaktion ist vollkommen nachvollziehbar«, sagte Charles. »Er hatte Cousins, die in Auschwitz in den Öfen geendet sind, daher ist für ihn allein schon der Gedanke an Einäscherung zutiefst bestürzend. Das Beste ist, du gehst ihm aus dem Weg, bis sich die Sache beruhigt hat. Das wird es, das tut es immer. Denn du hast recht – es ist nur Gerede. Die Polizei hat uns rein gar nichts erzählt. Hoch mit dem Kinn, Kurt – sei ein Mann!« Das Letzte sagte er in einem Tonfall, der Schiller veranlasste, das Gesicht in seinen Händen zu vergraben und bitterlich zu weinen.
»Gerede«, sagte Ponsonby zu sich selbst, als er in sein Labor zurückkehrte, »ist wie Knoblauch. Ein guter Diener, aber ein schlechter Herr.«
Finch war nicht der Einzige, der an Schiller seinen Frust abließ. Sonia Liebman ging ihm demonstrativ aus dem Weg, wann immer sie ihn traf; Hilda Silverman verlegte plötzlich seine Fachzeitschriften und Artikel; Marvin, Betty und Hank verloren seine Proben und malten Hakenkreuze auf die Ratten, deren Hirne in die Pathologie wanderten.
Schließlich ging Schiller zum Professor, um seine Kündigung einzureichen, die jedoch abgewiesen wurde.
»Die Kündigung kann ich unmöglich annehmen, Kurt«, sagte Smith, dessen Haar offenbar mit jedem Tag grauer wurde. »Wir stehen unter polizeilicher Überwachung und können keinen Personalwechsel vornehmen. Außerdem, wenn du gehst, gibt es eine Woge von Misstrauen. Beiß die Zähne zusammen und steh es durch, so wie wir anderen auch.«
»Aber mir steht das Zähnezusammenbeißen bis hier oben«, sagte Smith zu Tamara, nachdem der am Boden zerstörte Schiller gegangen war. »Oh, Tamara, warum musste ausgerechnet uns das passieren?«
»Wenn ich das wüsste, Bob, würde ich versuchen, es in Ordnung zu bringen«, sagte sie, setzte ihn in einen bequemen Sessel und gab ihm den sehr detaillierten Entwurf von Dr. Nur Chandras Aufsatz zu lesen, der klar und klinisch nüchtern auf sämtliche Einzelheiten von Eustace’ unglaublichem Krampfanfall einging.
Als sie in ihr eigenes Büro zurückkehrte, fand sie Desdemona Dupre vor, die allerdings nicht dort wartete, wo jeder andere warten würde. Diese englische Hexe sah sich unverblümt die Unterlagen an, die auf ihrem unordentlichen Schreibtisch lagen!
»Haben Sie meine Gehaltsliste gesehen, Vilich?«
Die Ecke einer
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