Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
herablassend, sondern auch neurotisch, war Carmines Meinung, die er allerdings nicht äußerte. Freundlich fragte er: »Hat Sie irgendein Patient schon einmal bedroht?«
Forbes blickte ihn schockiert an. »Nein, nie! Wenn Sie nach Patienten suchen, die bedrohen, sollten Sie Chirurgen fragen, keine Mediziner.«
»Das Hug hat keine Chirurgen.«
»Und auch keine Bedrohungen durch Patienten«, entgegnete Forbes steif.
Bei Dr. Walter Polonowski fand er heraus, dass Resorptionsstörungen bedeuteten, ein Patient vertrug nicht, was die Natur als menschliche Nahrung vorgesehen hatte.
»Aminosäuren, Früchte oder Gemüse, Blei, Kupfer, Gluten, alle Arten von Fett«, erklärte Polonowski, der sich seiner erbarmte. »Wenn Sie genügend Patienten haben, ist die Liste fast endlos. Honig kann zum Beispiel einen anaphylaktischen Schock auslösen. Aber was mich am meisten interessiert, sind die Substanzen, die Gehirnschäden verursachen.«
»Haben Sie Patienten, die Ihnen irgendetwas übelnehmen?«
»Ich vermute, jeder Arzt hat die, aber ich persönlich erinnere mich an keine Fälle. Bei meinen Patienten ist der Schaden schon eingetreten, bevor sie zu mir kommen.«
Und dennoch ein weiterer erschöpft aussehender Hugger, dachte Carmine.
Dr. Maurice Finch sah noch schlimmer aus.
»Ich gebe mir die Schuld an Dr. Schillers Selbstmordversuch«, sagte Finch traurig.
»Was geschehen ist, ist geschehen, und Sie können nicht behaupten, Sie wären der Grund gewesen, Dr. Finch. Dr. Schiller hat viele Probleme, wie Sie wahrscheinlich wissen. Davon abgesehen, haben Sie sein Leben gerettet«, sagte Carmine. »Geben Sie demjenigen die Schuld, der Mercedes Alvarez hierher gebracht hat. Und jetzt vergessen Sie Dr. Schiller für einen Moment und versuchen Sie sich daran zu erinnern, ob irgendeiner Ihrer Patienten Sie jemals bedroht hat.«
»Nein«, sagte Finch verblüfft. »Nein, nie.«
Dieselbe Antwort erhielt Carmine von Dr. Charles Ponsonby, obwohl dessen Gesicht Wachsamkeit signalisierte.
»Es ist sicher eine Überlegung wert«, sagte er stirnrunzelnd. »Man vergisst es, aber solche Sachen passieren. Ich werde meine Denkerkappe aufsetzen, Lieutenant, und versuchen, mich daran zu erinnern, auch was meine Kollegen betrifft. Obwohl ich fast hundertprozentig sicher bin, dass es mir noch nie passiert ist.«
Vom Hug aus ging Carmine im bitterkalten Wind die Oak Street Richtung Chubb Medical School hinunter, wo er sich durch das übliche Gewirr von Korridoren und Tunneln arbeitete, was Institute dieser Art auszeichnete, bis er die Abteilung Neurologie fand. Dort bat er um ein Gespräch mit Professor Frank Watson.
Der Professor bat ihn direkt herein und freute sich ganz offensichtlich über das Missgeschick am Hug.
»Ich habe gehört, Sie hätten dem Hughlings Jackson Center seinen Spitznamen verpasst, Professor«, sagte Carmine und lächelte ein wenig.
Watson plusterte sich auf wie ein Huhn, strich sich über den dünnen Schnauzbart und hob eine der schwarzen Augenbrauen. »Ja, hab ich. Sie hassen es, oder? Hassen es total. Besonders Bob Smith.«
Wie du dich darin sonnst, Mephistopheles zu spielen!, dachte Carmine. »Hassen Sie das Hug?«
»Aus tiefstem Herzen«, sagte der Professor aufrichtig. »Hier stehe ich, mit mindestens genauso vielen brillanten Leuten in meinem Team, und kämpfe um jeden Cent an Forschungsgeldern, den ich auftreiben kann. Wissen Sie, wie viele Nobelpreisträger von dieser medizinischen Fakultät kommen, Lieutenant? Neun! Stellen Sie sich das mal vor! Und keiner von ihnen ist ein Hugger. Sie gehören zu meinem Campus und leben von lumpigen Tausendern. Bob Smith kann es sich leisten, Ausrüstungen zu kaufen, die er alle Jubeljahre einmal benutzt, während ich die Wattetupfer zählen muss, die ich brauche! Das ganze Geld war Bob Smith’ Ruin, der sonst vielleicht etwas neurologisch Bedeutendes entdeckt hätte. Aber er kommt in seiner Arbeit nicht weiter. Ein Wichtigtuer.«
»Das tut ganz schön weh, was?«, fragte Carmine.
»Es tut nicht weh«, sagte Frank Watson ungestüm. »Das ist die reinste Höllenqual!«
Die Fahrt zurück zur Cedar Street ergab, dass Francine Murrays Jacke keine weiteren Hinweise geliefert hatte. Von Silvestri erfuhr Carmine, dass die Travis Highschool den Tag so weit überstanden hatte; es hatte genau genommen mehr Unruhen an der Taft High gegeben. Was sie alle bräuchten, dachte Carmine,wäre eine vernünftige, politische Führung, aber eines musste man Mohammed el Nesrs und seiner
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