Ein kalter Strom
Sachsenhausen. Als abgenommen wurde, ließ er seinen Spruch los. »Ich rufe für den Nachrichtendienst hier in Berlin an. Ich weiß, es ist unwahrscheinlich, aber ich versuche eine Spur von jemandem zu finden, der mit einem Serben verwandt sein könnte, der hier in Berlin agiert. Ein Typ, der Darko Krasic heißt.«
»Warten Sie, ich stell Sie zu jemand durch, der Ihnen helfen kann.«
Stille, dann wurde abgenommen, und eine Stimme sagte: »Schümann, Kriminalpolizei.« Es klang, als hätte er den Mund voller Kekskrümel.
Der Hai wiederholte seine Rede mit den kauenden Geräuschen im Hintergrund.
»Das wäre Rados Onkel, oder?«, sagte Schümann erstaunlicherweise. »Oder Cousin oder so was, wer kennt sich da schon aus, bei den Serben?«
»Sie wissen, von wem ich spreche?«, fragte der Hai aufgeregt.
»Klar weiß ich das. Es ist doch meine Aufgabe, zu wissen, wer in meinem Revier mit wem zu tun hat, oder?«
»Wer ist also dieser Rado?«
»Radovan Matic. Als Krimineller durchschnittlich, aber ein Arschloch erster Güte. Ich hab ihn noch als Jugendlichen vor ungefähr vier Jahren gefasst, wegen Heroinbesitz und dem Verdacht, damit zu handeln. Wir klopften ihm wie üblich auf die Finger. Dann ist er nach Berlin abgedampft. Wir sehen ihn dieser Tage nicht oft.«
»Und er ist Darko Krasics Neffe, ja?« Der Hai kämpfte mit sich, um nicht zu aufgeregt zu klingen.
»Ich glaube, sein Alter und Darko sind Cousins.«
»Sein Vater, wohnt der noch in Oranienburg?«
»Arkady? Ja, er hat einen kleinen Hof ungefähr neun Kilometer von hier. Er hält Schweine, glaube ich. Ein anständiger Kerl. Hat nie Ärger gehabt. Rado hat er nach seiner Festnahme windelweich geschlagen, habe ich gehört.«
»Hat er noch mehr Kinder, dieser Arkady Matic?«
»Eine erwachsene Tochter, glaube ich. Aber sie lebt nicht mehr zu Hause.«
»Wo ist dieser Hof genau?«
»Wollen Sie die Adresse oder eine Wegbeschreibung?«
»Beides bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Der Hai hörte die Unterwürfigkeit in seiner Stimme, aber zu buckeln störte ihn nicht. Er wollte einfach die Auskunft.
Schümann beschrieb ausführlich, wie der Hof der Matics zu finden war. »Was wollen Sie eigentlich von ihnen?«, fragte er.
»Ich weiß nicht genau. Ich ziehe für einen Kollegen Erkundigungen ein«, sagte der Hai bedauernd. »Sie wissen ja, wie das läuft. Der eigene Fall ist gerade durch, und jemand denkt, man hat Extrazeit …«
»Wem sagen Sie das«, klagte Schümann. »Tun Sie mir aber einen Gefallen. Wenn Ihr Kollege sich in meinem Revier umtun will, soll er mich vorher anrufen.«
»Es ist eine Sie«, sagte der Hai. »Ich gebe das weiter. Danke für Ihre Hilfe.«
Scheiß drauf
, dachte er. Er würde Schümann nicht um Erlaubnis bitten, sich Matics Hof anzusehen. Er wollte seinen großen Moment nicht mit einem Trottel aus der Provinz teilen.
Er sprang auf, rannte praktisch aus dem Büro und schnappte sich dabei seine Jacke. In dieser Sache hatte er ein gutes Gefühl. Ein kleiner Hof irgendwo in der Pampa, das war der perfekte Aufbewahrungsort für Marlene Krebs’ Tochter. Er war da etwas auf der Spur. Und er würde Petra zeigen, dass er ihren Respekt verdient hatte.
Kapitel 30
D er Leihwagen stand in Frankfurt für Tony bereit, genau wie Petra versprochen hatte. Er war dankbar, dass sie die Zeit gefunden hatte, seine Reise zu organisieren. Es wäre so viel schwieriger gewesen, wenn er alles selbst hätte arrangieren müssen. Auf dem Beifahrersitz lag ein Routenplan aus dem Internet, damit er vom Flughafen rechtzeitig zum Termin auf Schloss Hohenstein kam, wo er die Verwalterin der grausigen Akten treffen wollte. Er glaubte nicht, dass er die endgültige Antwort auf seine Nachforschungen heute Vormittag finden würde. Aber er würde vielleicht wenigstens eine Namensliste zusammenstellen können, die zum Vergleich dienen konnte, wenn Marijke und ihre deutschen Kollegen einige geeignete Kandidaten unter den Schiffern ausfindig gemacht hatten.
Selbst an einem sonnigen Frühlingsmorgen bot Schloss Hohenstein einen grimmigen Anblick. Die gewundene Straße, die von der Talsohle zum Schloss auf seinem Felsvorsprung hinaufführte, erlaubte gelegentlich Ausblicke auf seine grauen, bedrohlichen Mauern und Türmchen. Dies hier – so wurde ihm klar, als er die letzte Kurve nahm und vor dem hoch aufragenden Gebäude anhielt – war kein märchenhaftes Rheintal-Schloss. Das Gebäude hatte nichts Gefälliges. Es kauerte auf dem Felsen wie eine dicke
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