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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Kröte, alles an ihm war schwer und niederdrückend. Die Türme an den Ecken wirkten plump und hässlich und die mit Zinnen besetzten Mauern bedrohlich. Dies war ein Ort, der Feinden Furcht einjagen sollte, dachte Tony, als er an der Fassade hochblickte.
    Er parkte auf dem seitlich vor dem Schloss gelegenen Besucherparkplatz und ging über die heruntergelassene Zugbrücke. Ein tiefer, mit Steinen ausgelegter Graben, dessen Wände und Sohle mit scharfen Eisenspitzen gespickt waren, ersetzte einen wassergefüllten Burggraben. Das Tor schmückten kunstvolle Steinskulpturen kämpfender mythischer Tiere. Ein Vogel Greif saß auf dem Rücken eines Einhorns und hatte ihm die Krallen tief in den Hals geschlagen. Eine merkwürdige Schlange hatte ihre Zähne in die Kehle eines geflügelten Drachen gegraben. Wären sie als symbolische Grüße gedacht gewesen, hätte man nach Ansicht Tonys ebenso gut in den Stein meißeln können: »Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet«, und damit wäre alles gesagt gewesen.
    Am Eingangstor war ein Kartenhäuschen. Tony ging hin und sagte, er hätte eine Besprechung mit Dr. Marie Wertheimer. Der Mann nickte trübsinnig und rief dort an. »Sie wird gleich hier sein«, sagte er und gab Tony ein Zeichen, er solle in den Hof des Burgverlieses gehen. Hohe Mauern ragten rings um ihn auf, hinter deren schmalen Fenstern man ein Heer von feindlichen Augen vermuten konnte. Er stellte sich vor, wie dies auf die verschreckten Kinder gewirkt haben musste, die man hier hereingetrieben hatte, und schauderte unwillkürlich.
    Eine rundliche Gestalt kam ihm über den Hof entgegen, die in einen braunroten wollenen Umhang gehüllt war. Die Frau sah wie eine wandelnde Herbstbeere aus, ihr graues Haar hatte sie auf dem Kopf zu einem ordentlichen Knoten hochgesteckt. »Dr. Hill? Ich bin Marie Wertheimer, Leiterin des Archivs hier auf Schloss Hohenstein. Willkommen.« Ihr Englisch war fast akzentfrei.
    »Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen«, sagte Tony und schüttelte ihre winzige, dickliche Hand.
    »Es ist mir ein Vergnügen. Eine Unterbrechung der alltäglichen Arbeit ist immer interessant. Also lassen Sie uns einen Kaffee trinken, und Sie können mir genau sagen, was Sie wissen möchten.«
    Er folgte ihr durch eine kleine metallbeschlagene Tür am Fuß des Bergfrieds, und sie stiegen eine abgetretene Steintreppe hinunter. »Vorsicht«, warnte sie ihn. »Diese Stufen können gefährlich sein. Am besten hält man sich am Geländer fest.«
    Sie bogen in einen niedrigen Gang ein, der von grellen Neonröhren beleuchtet war. »Wir sind in dem Teil des Schlosses untergebracht, der am wenigsten ansprechend ist«, sagte Dr. Wertheimer. »In dem Teil, den Touristen nie zu sehen bekommen.« Sie wandte sich plötzlich einem Eingang zu, der in einen großen Raum mit zweckmäßigen Metallregalen führte. Zu seiner Überraschung waren an einer Wand schmale Spitzbogenfenster. »Keine sehr verlockende Aussicht«, sagte sie. »Wir sehen auf den Graben hinaus. Aber wenigstens bekommen wir natürliches Tageslicht, und das ist mehr, als die meisten meiner Kollegen haben. Bitte, nehmen Sie Platz, machen Sie es sich bequem.«
    Tony setzte sich in einen der zwei abgenutzten Sessel in einer Ecke des Büros, während Dr. Wertheimer sich mit einem Wasserkocher und einer Kaffeekanne zu schaffen machte. Sie reichte ihm einen Becher mit verblüffend starkem Kaffee und setzte sich in den Sessel ihm gegenüber. »Ich bin sehr neugierig«, sagte sie. »Als ich mit Ihrer Kollegin aus Berlin sprach, wollte sie mir keine Einzelheiten über Ihre Ermittlungen verraten.«
    Tony nippte vorsichtig an dem Gebräu, in dem genug Koffein war, um einen Schlafsüchtigen mehrere Tage lang wach zu halten. »Es ist eine sehr heikle Sache«, sagte er.
    »Wir sind hier an heikle Fragestellungen gewöhnt«, entgegnete Dr. Wertheimer bitter. »Unser Archiv enthält Material, dessen Betrachtung für meine Landsleute immer noch äußerst unbequem ist. Ich muss schon Klarheit über den Zweck Ihres Besuchs haben. Sie können mir vertrauen, Dr. Hill. Ich behalte es für mich.«
    Er betrachtete das ruhige Gesicht mit dem scharfen Blick und neigte dazu, sich dieser Frau anzuvertrauen. Und er vermutete, dass sie auch ihm gegenüber nicht mitteilsam sein würde, wenn er nicht offen war. »Ich bin Fallanalytiker«, sagte er. »Ich wurde zugezogen, um in einer Serie von Morden zu ermitteln, die vermutlich alle von derselben Person verübt

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