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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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war ziemlich sicher, dass er wie sie Polizist war, der zu einem bestimmten Zweck, den sie beide nicht kannten, in eine fremde Rolle geschlüpft war.
    Sie kehrte auf die Straße zurück und zitterte, als ein kalter Windstoß durch ihre dünne Kleidung fuhr. Der kürzeste Weg nach Soho wäre, dass sie links einbog und zur Hauptstraße zurückging, wo sie einen Bus nehmen konnte. Und sie würden erwarten, dass sie das tat. Also wandte sie sich nach rechts und ging flink auf das Ende der Straße zu. Von ihren Erkundungen her wusste sie, dass sie durch das Labyrinth von Seitenstraßen gehen und auf einer kleinen Gasse zwischen den Läden herauskommen konnte, die sie zur anderen Seite von Stoke Newington führen würde, und von dort konnte sie eine U-Bahn nehmen. Das würden sie wahrscheinlich nicht erwarten, schätzte sie.
    An der Ecke beschleunigte sie ihre Schritte und fing an zu laufen, wobei sie hoffte, dass sie die nächste Ecke erreichen würde, bevor wer immer ihr folgte sie einholen konnte. Sie ging in die nächste Querstraße hinein und zog im Gehen die Regenjacke aus ihrer Tasche. Schon fast an dem Punkt, wo sie abbiegen musste, trat sie schnell in eine Einfahrt, zog die Jacke über und setzte sich die Baseballmütze auf die blonden Haare. Dann kehrte sie zur Straße zurück und schlenderte diesmal langsam weiter, als habe sie alle Zeit der Welt.
    Als sie die Kreuzung erreichte, schaute sie über die Schulter zurück. Niemand war in Sicht außer einem älteren Mann, der eine Supermarkttüte trug und auf der anderen Straßenseite entlangschlurfte. Was nichts zu bedeuten hatte, wie sie wusste. Sie konnte sich nicht erlauben, so zu handeln, als hätte sie ihren Verfolger abgeschüttelt.
    Jetzt war der Eingang zu der Gasse in Sicht. Es war ein schmaler Durchgang zwischen hohen Backsteinmauern, leicht zu verpassen, wenn man nicht wusste, dass er da war. Von dem Adrenalinstoß angespornt, den die Erleichterung auslöste, bog Carol in den düsteren Eingang ein.
    Sie hatte etwa ein Drittel der Gasse hinter sich, als ihr klar wurde, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Zwei junge Männer kamen auf sie zu. Es war nicht genug Platz für die beiden, um Seite an Seite gehen zu können, aber sie waren so nahe beisammen, dass sie unmöglich einfach an ihnen vorbeigehen konnte. Sie sahen aus wie Schläger, aber heutzutage war das bei den meisten Männern um die zwanzig der Fall. Carol dachte plötzlich über die dämliche Frage nach, seit wann genau es eigentlich für nette Jungs schick war, wie potentielle Straßenräuber auszusehen. Die beiden hier passten perfekt in die Schablone. Geschorene Stoppelköpfe, wasserdichte Nike-Jacken über Fußballhemden, Chinos und Doc-Martens-Stiefel. Nichts unterschied sie von Tausenden anderer.
Vielleicht ist das gerade die Absicht
, dachte sie, während sie unaufhaltsam näher kamen.
    Sie hätte sich sehr gern kurz umgedreht, um ihre Fluchtroute zu überblicken, aber sie wusste, dass dies sofort als Schwäche ausgelegt würde. Der Abstand zwischen ihr und den beiden Männern wurde jede Sekunde kleiner, und sie sah, dass ihr Gang sich fast unmerklich veränderte. Jetzt bewegten sie sich vorsichtig auf den Fußballen wiegend, wie zwei Räuber, die ihre Beute beäugten. Sie musste annehmen, dass sie mit zum Plot gehörten, was hieß, dass sie sie nicht ernstlich verletzen würden. Etwas anderes zu denken war auch zu beunruhigend. Carol war eine Frau, die zu sehr daran gewöhnt war, ihre Umgebung unter Kontrolle zu haben. So stellte sie die Überlegung nicht an, wie schnell sie zum potentiellen Opfer hatte werden können.
    Plötzlich waren sie da, drängelten von beiden Seiten an sie heran und drückten sie gegen die Wand. »Na, was haben wir denn da?«, sagte der Ältere mit dem spöttischen, rauen Akzent Nordlondons.
    »Ja, wie heißt du denn, Schätzchen?«, meinte der andere anzüglich grinsend.
    Carol wagte einen Blick ans andere Ende der Gasse. Es war frei. Nur die beiden waren hier.
    Der kurze Moment, in dem sie den Blick abgewandt hatte, gab ihnen ihre Chance. Der Größere riss an ihrer Tasche. »Gib sie her«, verlangte er. »Dann sparst du dir die Prügel.«
    Carol hielt eisern daran fest, stützte sich gegen die Wand und verlagerte ihr Gewicht. Ihr linker Fuß schoss heraus und versetzte ihm einen brutalen Tritt gegen die Innenseite seines Knies. Er heulte vor Wut und Schmerz auf, taumelte zurück, und während er zu Boden ging, ließ er den Riemen der Tasche los, um sein

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