Ein kalter Strom
Sonnenlicht zurechtzukommen. Aber das machte alles nur noch deprimierender.
Das Büro war leer bis auf eine einzelne Wachpolizistin, die gerade eine Plastikkiste mit den persönlichen Sachen eines Gefangenen auf eines der Regale stellte. Als Petra an den Schalter trat und sich räusperte, drehte sie sich um. »Ich bin Petra Becker vom Nachrichtendienst. Ich bin gekommen, um mit Marlene Krebs zu sprechen«, sagte sie. »Sie haben sie doch noch hier, oder?«
Die Wachpolizistin nickte. »In zwei Stunden soll sie dem Richter vorgeführt werden, dann wird sie verlegt, nehme ich an. Wollen Sie nicht solange warten?«
»Ich muss jetzt mit ihr sprechen. Ich kann doch einen Anwaltsraum benutzen, oder?«
Die Wachpolizistin war sich nicht sicher. »Da sollten Sie besser mit dem Chef reden. Er ist im Schreibzimmer.«
»Das ist da hinten am Ende der Zellen, nicht wahr?«
»Hinter dem Fingerabdruckbüro, ja. Sie werden Ihre Waffe hier lassen müssen.«
Petra nahm ihre Pistole aus dem Halfter an der Hüfte und schloss sie in eines der Schließfächer für besuchende Polizisten ein. Dann trat sie aus dem Büro auf den Flur mit den Zellen. Sie warf einen Blick auf das elektronische Alarmsystem, dem die Polizisten den sarkastischen Namen Zimmerservice gegeben hatten. Keine der Alarmlampen war an. Im Moment benahmen sich also die Gefangenen gut und trieben die Besatzung der GeSa nicht durch ständige Anfragen zum Wahnsinn.
Der Gebäudeteil mit den Zellen war überraschend steril und modern. Das sonst überall übliche Linoleum wurde auf den Fußböden und Wänden von rotem Backstein abgelöst. Die meisten Türen waren geschlossen, was bedeutete, dass die Zellen besetzt waren. Ein paar standen offen, und man konnte einen kleinen Vorraum sehen. Dahinter liefen Gitter von einer Wand zur anderen an einer vier Quadratmeter großen Zelle entlang, in der ein Bett stand. Ein viereckiges Loch im Boden war mit einem Chromgitter bedeckt, falls die Insassen nicht klingelten, wenn sie zur Toilette gehen mussten, und einfach die Zelle verunreinigten. Es war ein Fehler, den die meisten von ihnen nur einmal machten. Denn die Kosten für die Reinigung der Zelle wurde den Gefangenen in Rechnung gestellt.
Petra fragte sich, hinter welcher Tür Marlene Krebs saß und wie sie zurechtkam. Nicht gut, hoffte sie. Denn das würde ihre Aufgabe erleichtern.
Sie fand den Vorgesetzten, der die Schichten einteilte, im Schreibzimmer stirnrunzelnd vor einem der Computer sitzen. Sie erklärte, was sie vorhatte, und er bat sie zu warten, bis er die Unterredung in die Wege geleitet hätte. »Wir sollten sie im Grunde gar nicht hier haben«, nörgelte er. »Sie hätte eigentlich gleich zur Kripo gehen sollen, aber weil es genau vor unserer Tür passiert ist, haben sie uns gesagt, wir sollten sie hier behalten.«
»Es ist ja nur für höchstens 24 Stunden«, betonte Petra.
»Das sind 23 Stunden zu viel für mich. Sie jammert, seit sie angekommen ist. Sie will einen Rechtsanwalt haben, sie will aufs Klo, sie will etwas zu trinken. Sie glaubt wohl, wir sind hier ein Hotel, keine Vollzugsanstalt. Sie benimmt sich, als sollten wir sie wie eine Heldin behandeln statt wie eine Kriminelle.« Er stand auf und ging zur Tür. »In ein paar Minuten schicke ich jemanden. Sie können sich den Papierkram ansehen – alles ist da drüben in der Ablage.« Er zeigte mit dem Daumen auf einen dicken Stoß von Schriftstücken, die über den Rand einer Ablage hinausragten.
Er hielt sein Wort. Innerhalb von zehn Minuten saß sie im Anwaltsraum an einem am Boden festgeschraubten Tisch und sah Marlene Krebs an. Krebs’ Alter hätte irgendwo zwischen dreißig und vierzig sein können, allerdings hatte Petra in dem Bericht gelesen, dass die Frau erst achtundzwanzig war. Ihr Haar war tiefschwarz gefärbt und von der Nacht in der Zelle zerzaust und ihr Make-up wahrscheinlich aus demselben Grund verschmiert. Krebs’ Gesicht und Hände waren angeschwollen wie die einer Trinkerin, und das Weiß ihrer blassgrünen Augen war gelblich. Aber gleichzeitig besaß sie eine träge, Männer anziehende Sinnlichkeit und war sich dessen wohl bewusst.
»Marlene, ich bin Petra Becker vom Nachrichtendienst.« Petra lehnte sich zurück und ließ ihre Worte erst einmal wirken.
Marlene Krebs’ Gesichtsausdruck verriet nichts, und sie fragte: »Haben Sie Zigaretten?«
Petra nahm eine halb leere Schachtel aus ihrer Tasche und schob sie Krebs hin. Sie schnappte sie und steckte sich eine Zigarette
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