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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Knie zu umfassen.
    »Verdammte Mistkuh«, sagte der andere mit leiser Stimme, was viel erschreckender war als Schreien. Er sprang auf sie zu, mit dem rechten Arm zum Schlag ausholend. Carol sah alles so langsam und klar wie in Zeitlupe. Als seine Faust auf sie zufuhr, ließ sie sich fallen, und er rannte mit dem ganzen Schwung gegen die Wand.
    Dadurch gewann sie zwei kostbare Sekunden, um die Spraydose aus der Tasche zu nehmen. Als der erste Angreifer wieder auf die Füße kam, sprayte sie ihm das Tränengas direkt ins Gesicht. Jetzt heulte er wirklich und schrie wie ein Tier in der Falle.
    Sein Kumpel fuhr herum und war zu einem zweiten Angriff bereit. Als er sie wie eine Verrückte grinsen sah, die Spraydose nach vorn gestreckt und genau auf ihn gerichtet, hob er beide Hände hoch, die Handflächen ihr zugewandt, die überall gültige Geste des Aufgebens. »Elendes Weibsstück, brauchst nicht gleich auszurasten«, rief er.
    »Geh mir aus dem Weg, verdammt noch mal«, fauchte Carol.
    Gehorsam drückte er sich flach an die Wand. Sie schob sich an ihm vorbei und achtete darauf, dass sie das Spray die ganze Zeit auf ihn gerichtet hielt. Sein Freund jammerte immer noch mit tränenden Augen und schmerzverzogenem Mund. Carol ging rückwärts in Richtung zur Straße und ließ sie nicht aus den Augen. Derjenige, der an die Wand geknallt war, hatte seinen Arm um den anderen gelegt, und sie stolperten auf das andere Ende der Gasse zu, nachdem ihre Großtuerei wie die Luft aus einem Luftballon verpufft war. Sie erlaubte sich insgeheim ein kurzes Lächeln. Wenn dies das Beste war, was Morgan ihr entgegenstellen konnte, würde sie einen glänzenden Erfolg erringen.
    Sie wandte ihren Angreifern den Rücken zu und trat auf die belebte Straße hinaus. Es war kaum zu glauben, dass sie nur ein paar Meter vom geschäftigen Treiben der Einkaufenden und Spaziergänger entfernt wirklicher Gefahr für Leib und Leben ins Auge gesehen hatte. Als die Adrenalinwirkung nachließ, merkte sie, in welchem Zustand sie war. Ihr Oberkörper war in der Lederjacke und der Regenjacke darüber feucht wie in einer Sauna. Ihr Haar unter der Baseballmütze fühlte sich wie an den Kopf geklebt an. Und sie hatte einen Riesenhunger. Wenn sie die Mission zu Ende führen wollte, wäre es verrückt, die Signale ihres Körpers zu missachten.
    Weiter vorn sah sie die goldenen Bögen eines McDonald’s. Sie konnte dort etwas essen, dann zur Toilette gehen, sich wieder herrichten und den Rock gegen die Leggings vertauschen. Wenn sie Glück hatte, gab es dort einen funktionierenden Handtrockner mit Heißluft. Vielleicht könnte sie dank ihres panischen Schweißausbruchs sogar mit veränderter Frisur weitermachen.
    Zwanzig Minuten später war Carol wieder auf der Straße. Ihr Haar war mit etwas Haargel nach hinten gekämmt. Die Fliegerbrille veränderte leicht ihre Gesichtsform. Ihre Jacke war geschlossen und ihr T-Shirt darunter nicht zu sehen. Sie unterschied sich so sehr von der Frau, die an Garys Tür geklingelt hatte, dass die meisten oberflächlichen Beobachter verwirrt sein würden. Sie wusste, dass das nicht ausreichte, um den Scharfsinn zu täuschen, dem sie ausgesetzt sein würde, aber es genügte vielleicht, ein paar Extrasekunden zu gewinnen, wenn es darauf ankam. Auf dem Weg zur U-Bahn nahm sie sich Zeit, betrachtete Schaufenster, als gehe sie gemütlich einkaufen und überlege sich, was sie fürs Abendessen mitnehmen könne. Aber als sie dort war, lief sie die Stufen zum Gleis hinauf, gerade noch rechtzeitig, um die Bahn zu erwischen. Gut, dass ich mir den Fahrplan angesehen habe, beglückwünschte sie sich und ließ sich in dem nach Staub riechenden Wagen auf einen Ecksitz fallen. Es war eine Verschnaufpause. Zeit zu überlegen, was als Nächstes kommen würde.

Kapitel 12
    P etra betrat das Büro der GeSa. Es war so deprimierend wie alle anderen Polizeibüros, die sie kannte. Die Stores, die die Gitter an den drei Fenstern verdeckten, sahen schmutzig nikotingelb und wie aus zweiter Hand aus. Wände und Fußboden waren in demselben abgestuften Grauton gehalten, der für den ganzen Rest der GeSa charakteristisch war.
Diese faszinierende Palette von Taubenblau bis Anthrazit,
dachte Petra sarkastisch. Die Wachpolizisten, die bei der GeSa arbeiteten, hatten versucht, den Raum mit der üblichen Sammlung kitschiger Postkarten, Cartoons und Fotos von ihren Haustieren aufzupeppen. Ein paar verwelkte Pflanzen gaben sich Mühe, mit dem Mangel an direktem

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