Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
sie war sicher, dass sie ihm vertrauen konnte. Wenn es jemals herauskäme, würde sie sich auf Morgans Anordnung berufen, dass sie tun solle, was immer nötig war, damit sie sich sicher fühlte.
    An diesem Abend war sie dankbarer denn je, dass es diese Kommunikationsmöglichkeit zwischen ihnen gab. Denn sie hatte jetzt etwas, was Tony vielleicht aus seiner selbst verhängten Zurückgezogenheit locken konnte. Mehr als das, es würde ihn vielleicht auf ihre Seite bringen. Carol saß stirnrunzelnd vor ihrem Bildschirm. Diese Sache musste sie unbedingt absolut richtig hinkriegen. Ungeduldig schob sie den Stuhl vom Schreibtisch zurück, ging im Zimmer auf und ab und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
    Das Apartment in Berlin bot wirklich alles, was Petra versprochen hatte. Es war bequem, ohne protzig zu sein, ruhig und sicher, und die Anonymität war irgendwie weniger unpersönlich als in einem Hotelzimmer. Sie war sicher, dass Caroline Jackson gerade diese Eigenschaften zu schätzen wissen würde. Die wenigen persönlichen Dinge in dem Zimmer machten es zum Bereich ihres Alter Ego. Für sich selbst hätte sie diese Bücher, diesen Bilderrahmen oder diese extravaganten, auffälligen Blumen nie ausgesucht. Aber heute Abend musste sie sich daran erinnern, dass sie Carol Jordan war. Caroline Jackson würde ihr nicht dabei helfen, die sorgsam ausgewogene E-Mail zu verfassen, die sie schicken musste. Dafür brauchte sie ihren eigenen Verstand mit all seinen Qualitäten.
    Die letzten paar Tage waren mit fieberhafter Kopfarbeit ausgefüllt gewesen. Sie war erstaunt, wie viele Informationen Petra Becker über Tadeusz Radecki besaß, und konnte sich gut vorstellen, wie frustriert ihre deutsche Kollegin sich fühlte, weil ihr Team anscheinend unfähig war, seine Machenschaften zu unterbinden und ihn hinter Gitter zu bringen. Er schien in völliger Straffreiheit zu operieren, vor allem deshalb, weil er nie den Fehler gemacht hatte, der den meisten Kriminellen unterläuft, nämlich am Ende an seine Unbesiegbarkeit zu glauben. Carol wusste, dass diese Überheblichkeit meistens zur Katastrophe führte. Aber Radecki hatte nie sein Prinzip ständiger Vorsicht außer Acht gelassen. Dies war sein Rezept für den Erfolg: Er vertraute nur wenigen, kannte den Unterschied zwischen gutem Profit und Habgier und hatte offenbar immer die Grenzen zwischen seiner täuschend untadeligen öffentlichen Person und den schmutzigen Geschäften, die ihm seinen Lebensstil ermöglichten, aufrechterhalten. Das Sahnehäubchen war Krasic, ein Mann, der anscheinend seinen Ruf brutaler Skrupellosigkeit kultivierte.
    Aber obwohl es Radecki gelungen war, sich dem Zugriff der Strafverfolgung zu entziehen, war er doch nicht immun gegen Petra Beckers hartnäckige Nachforschungen. Sie hatte ein beträchtliches Aktenbündel über ihn angelegt. Alles war hier verzeichnet, von seinem Geschmack in puncto Musik bis hin zu den Geschäften, in denen er seine Garderobe kaufte. Sich all dies anzueignen, war Carols erste Aufgabe gewesen, und damit erhielt sie den ersten echten Eindruck von ihrer Arbeit als Agentin. Sie musste versuchen, so viele dieser Informationen wie möglich im Gedächtnis zu behalten, und ihnen zugleich in ihrem Kopf einen Platz im Hintergrund zuweisen. Denn Caroline Jackson würde fast nichts über Radeckis Leben und Vorlieben wissen, und Carol empfand die Notwendigkeit, ihr Gehirn in zwei Teile aufzuteilen, als zutiefst verwirrend. Da hatte sie beschlossen, sich nicht um die Vorschriften zu kümmern, denn sie brauchte unbedingt eine Verbindung zu Tony.
    Wenn sie noch Zweifel hegte, ob ihr Vorgehen klug war, verschwanden diese im Lauf des zweiten Abends, den sie mit Petra Becker verbrachte. Sie hatten den Vormittag darauf verwendet, alles zu besprechen, was Petra über Radeckis kriminelles Netzwerk bekannt war, und der Nachmittag diente dazu, an Carols neuer Identität zu arbeiten, auszuprobieren, wo sich Lücken zeigen könnten, die möglichen Gefahrenzonen zu testen und sie die Persönlichkeit prüfen zu lassen, als die sie in der nahen Zukunft leben musste. Schließlich hatte Petra die zwanzigste Zigarette ausgedrückt und lehnte sich auf dem Sessel zurück. »Ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns ein wenig entspannen«, sagte sie. »Wenn wir nach Berlin kommen, dürfen wir nicht mehr zusammen gesehen werden, wir sollten also die Anonymität hier nutzen und jetzt zusammen schön essen gehen, um den erfolgreichen Abschluss dieser Phase eins zu

Weitere Kostenlose Bücher