Ein kalter Strom
alles angefangen hat. Ich besuche oft eine private Website für Schwule und Lesben bei der Polizei in der EU und habe dort Marijke kennen gelernt. Sie ist bei der niederländischen Polizei, Brigadier in Leiden. Wir sprechen drei- oder viermal in der Woche miteinander in einem privaten Chatroom und sind uns im Lauf der Zeit näher gekommen.« Petra lächelte ironisch. »Ja, ich weiß, was man über Leute sagt, die sich über das Netz kennen lernen, aber es steht fest, dass sie wirklich die ist, die sie zu sein behauptet, und keine Betrügerin, die sich Informationen erschleichen will, oder eine Neurotikerin, die es genießt, wenn sie so tun kann, als sei sie eine von uns. Also ich und Marijke, wir haben beide über das Internet die Resonanz gefunden, die uns im täglichen Leben fehlte.«
»Das macht ja noch kein armes Schwein aus dir«, sagte Carol mit beruhigendem Lächeln.
»Eben. Jedenfalls, Marijke und ich, wir erzählen uns oft allerhand Vertrauliches. Vor ungefähr einer Woche hatte sie einen Mord in Leiden. Sie hat mir davon erzählt, weil es so ein merkwürdiger Fall war, ohne offensichtliche Verdächtige und ohne irgendeinen Ermittlungsanhalt. Der Tote, Pieter de Groot, war Psychologieprofessor an der Uni dort. Er wurde nackt aufgefunden, auf seinem Schreibtisch festgebunden. Der Mörder hat ihm eine Art Rohr in die Kehle gesteckt und Wasser hineingegossen, bis er ertrank.«
Carol schauderte. »Das ist wirklich hässlich.«
»Es geht noch weiter. Der Mörder hat sein Opfer auch skalpiert. Aber nicht die Kopfhaut, sondern die Haut mit dem Schamhaar.«
Carol sträubten sich die Nackenhaare. Sie wusste genug über Psychopathen, um die Tat einer gestörten Persönlichkeit erkennen zu können, wenn sie darauf stieß. »Na ja«, sagte sie, »es hört sich an, als gäbe es da Elemente von Sexualmord. Was bedeutet, dass euer Mann möglicherweise zuvor getötet hat und auch wahrscheinlich wieder morden wird.«
»Beides, glaube ich. Als Marijke mir von dem Fall erzählte, erinnerte es mich vage an irgendwas. Und ich habe den Mord an Dr. Walter Neumann gefunden.« Petra erklärte kurz, was sie bei dem Heidelberger Fall entdeckt hatte. »Also habe ich angefangen zu vermuten, dass wir es mit einem Serienkiller zu tun haben könnten, der sich über die nationalen Grenzen hinweg betätigt.« Sie sah Carol an und wartete auf ihre Reaktion.
»Ein vernünftiger Schluss. Nach dem, was du mir erzählt hast, enthalten diese Verbrechen Elemente persönlicher Merkmale.« Sie sah Petra fragend an, ob sie das weiter erklären musste.
Petra nickte zuversichtlich. »Okay, ich fand also, dass wir ein großes Problem hatten. Wie du weißt, gibt es keine formelle Verknüpfung bei Einsätzen der nationalen Polizeikräfte der EU , trotz Europol und Interpol. Ja, wir sollen Informationen austauschen und bei transnationalen Verbrechen zusammenarbeiten, und manchmal funktioniert das auch, wie bei dem, was wir jetzt gegen Radecki unternehmen. Aber wir wissen beide, wie eifersüchtig Polizisten ihren eigenen Bereich abschirmen. Bei so einer aufsehenerregenden Sache wie Serienmorden wird niemand dazu beitragen, eine Ermittlung in Gang zu bringen, die ihn vielleicht Punkte kosten wird. Sie dazu zu bringen, die Informationen mit uns zu teilen, wird ein harter Brocken werden.«
Es hörte sich nach Sarkasmus an, aber Carol wusste, dass Petra Recht hatte. Außerdem hatte sie den Verdacht, dass für Petra Becker in diesem Fall das Prestige ein wichtiger Faktor war, aber das war nicht von vornherein schlecht. Sie wusste von sich selbst, dass sie sich bei Fällen, die sie besser dastehen ließen, mehr einbrachte. Es war nichts, worauf sie stolz war, aber sie musste es als Realität anerkennen. »Du hast also beschlossen, die Info für dich zu behalten und selbst zu ermitteln?«
Petra schien dies etwas unangenehm zu sein. »Ich weiß nicht, ob ich schon so weit bin, diese Entscheidung zu treffen«, gab sie zu. »Es stimmt, dass ich persönlich mit dieser Neuigkeit herauskommen wollte, und deshalb habe ich Marijke gebeten, mir alle Einzelheiten zu dem Fall zu schicken. Wenn ich Recht habe, hat er nämlich in Deutschland angefangen zu töten, und das würde uns ein gewisses Recht geben, die Ermittlung in die Hand zu nehmen.« Petra hielt plötzlich inne und nahm ihre Zigaretten. »Aber dann, vor zwei Tagen, gab es einen dritten Mord; ich habe noch nicht viele Einzelheiten dazu bekommen können, aber es scheint, dass Dr. Margarethe Schilling von
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