Ein kalter Tag im Paradies – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
damit ist jetzt Schluß. Das gehört alles zum neuen Edwin.«
Ich nickte nur.
»Bist du sicher, daß du nicht in dem andern Gästezimmer schlafen willst?«
»Nein, hier unten mit der Couch ist schon in Ordnung«, sagte ich. Die beiden Gästezimmer lagen am Ende des Hauses. Da war ich lieber hier in der Mitte, nahe an den Türen, für alle Fälle.
»Bedien dich mit allem«, sagte er. »Ich gehe ins Bett. Wünsch mir Glück.« Mit einem Augenzwinkern und der Andeutung eines militärischen Grußes verschwand er.
Als er fort war, saß ich da, trank meinen Cognac aus und wunderte mich, wie ich hierhingeraten war. Ich bin Privatdetektiv, und sie bezahlen mich dafür, daß ich mit meiner Pistole hier auf der Couch schlafe.
Ich dachte an den Anruf und an die Rose, die man mir auf die Schwelle gelegt hatte. Lange saß ich da und hoffte, daß alles doch noch irgendeinen Sinn ergab, aber das passierte nicht.
Schließlich kam Mrs. Fulton ins Zimmer und setzte sich in Edwins Sessel. »Kann ich Ihnen noch irgend etwas bringen, Alex?«
»Danke, mir geht es gut, Ma’am.«
»Wissen Sie, wir beide haben etwas gemeinsam«, sagte sie. Sie schlug die Beine übereinander und blickte ins Feuer.
»Und was wäre das, Ma’am?«
»Angst«, sagte sie. »Wir beide kennen die Angst.«
Es dauerte eine Minute, bis es einsickerte. Diese Frau hatte genügend Geld, um sich vor allem zu schützen. Was konnte sie schon über Angst wissen?
Aber dann sah ich ihr in die Augen. Ich sah, wie das Kaminfeuer in ihnen tanzte. Und ich sah noch etwas anderes. Etwas, das ich erkannte. »Erzählen Sie mir davon«, sagte ich.
»Ich habe diese Geschichte kaum jemandem erzählt, Alex. Aber ich habe das Gefühl, Ihnen kann ich sie erzählen, denn Sie wissen, was für ein Gefühl das ist. Wirkliche Angst. Die Art Angst, die einen für immer verändert.«
»Ja«, sagte ich. »Ja, die kenne ich.«
»Ich wurde gekidnappt, als ich sechzehn Jahre alt war. Das ist eins der Risiken, wenn man in einer sehr wohlhabenden Familie aufwächst, nehme ich an. Sie hielten mich einige Tage gefangen. An einem bestimmten Punkt waren sie drauf und dran, mir einen Finger abzuschneiden und ihn meinem Vater zu schicken.«
Ich sagte nichts. Gemeinsam mit ihr blickte ich ins Feuer und lauschte ihrer Stimme.
»Es waren drei Männer«, sagte sie. »Einer von ihnen sorgte dafür, daß die anderen mir nichts taten. Sogar als ihr Boß mir den Finger abschneiden wollte, hat dieser Mann es nicht zugelassen. Sie haben sich meinetwegen gestritten. Er sagte zum Boß, er würde ihn töten, wenn er mich nur anfaßte. Obwohl er einer von den dreien war, die mich gekidnappt hatten, fing ich an, mich in ihn zu verlieben. Das ist doch seltsam, oder? Wenn man so tief verstört ist, dann ist alles, was man sonst noch empfindet, so intensiv. Auch was man hört, und was man sieht. Sogar die Farben der Dinge sind intensiver. Sie verstehen doch, was ich sagen will?«
»Ja, Ma’am.«
»Sie verstehen es, weil Sie auch schon dort waren«, sagte sie. »Ich wußte das, sobald ich Sie kennenlernte. Spätestens dann, als ich Sie nach der Kugel in Ihrer Brust gefragt habe. Da konnte ich es sehen. Ich konnte sehen, daß wir das gemeinsam hatten. Deshalb wissen Sie auch, was ich jetzt durchmache. Die ganze Geschichte mit meinem Sohn. Er ist mein einziges Kind, wissen Sie.«
»Mrs. Fulton, alles wird wieder gut werden. Er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«
»Jedenfalls bin ich froh, daß Sie hier sind«, sagte sie. »Ich denke, heute nacht werde ich schlafen können.« Sie wünschte mir eine gute Nacht und verließ den Raum.
Ich saß da und starrte ins verlöschende Feuer. Schließlich stand ich auf und ging durchs Haus. Ich blickte aus dem Fenster, das auf die Auffahrt hinausging, und knipste die Außenbeleuchtung aus, so daß ich ins Dunkel blicken konnte. Nichts.
Ich begab mich nach draußen und lief fast fünfhundert Meter die Straße hinunter. Es war eine ruhige Nacht, und ohne den Wind war es nicht entfernt so kalt wie sonst zu dieser Jahreszeit. Ich kehrte um, und als ich wieder am Haus war, ging ich auf die andere Seite zur Veranda, die auf den See hinausblickt. Als die Wolken kurz aufbrachen, warf ein Viertelmond sein mattes Licht auf die riesige Fläche des Lake Superior. Das Wasser war sehr ruhig in dieser Nacht, und man konnte träumen, wie man unter diesem Mond dahinsegelte.
Ich ging wieder nach drinnen und setzte mich auf die Couch, nahm die Pistole aus dem Gürtel und
Weitere Kostenlose Bücher