Ein kalter Tag im Paradies – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
in dieser Nacht einfach nicht für sie tun.
Der Arzt führte uns aus dem Wartezimmer in einen kleinen Aufenthaltsraum hinter dem Empfang. Er war ein schlanker schwarzer Mann und wirkte wie jemand, der seinen Beruf als Arzt sehr ernst nimmt. Seine Stimme hatte ein wenig vom singenden Tonfall der Karibik. Nachdem wir Kaffee und Doughnuts abgelehnt hatten, verriet er uns, warum er die Polizei gerufen habe.
»Es gibt einen Mann, der hier immer herkommt«, sagte er. »Ziemlich regelmäßig. Wann er genau kommt, kann man allerdings nicht sagen. Bisweilen kommt er mehrere Male hintereinander jeden Abend, dann ist er wieder ein paar Tage verschwunden. Und dann ist er wieder da. Er ist offensichtlich schwer gestört, vielleicht ein paranoider Schizophrener, aber das kann ich natürlich so genau nicht sagen. Und mit Sicherheit habe ich nicht die Zeit, mich mit ihm zu unterhalten.«
»Und was macht er, wenn er hier ist?«
»Meistens, im Grunde genommen … es klingt komisch, wenn ich das so sage: Meistens versteckt er sich.«
»Er versteckt sich?«
»Wir hatten früher diese große Pflanze in der Wartezone, wissen Sie, so wie eine Palme. Wir mußten sie entfernen. Die Patienten hatten Angst vor ihm.«
»Sie haben doch einen Sicherheitsdienst hier, oder?«
»Ein paar Leute«, antwortete er. »Aber bei weitem nicht genug. Immer wenn wir sie gerufen haben, war er weg, sobald sie kamen. Als hätte er so etwas wie einen sechsten Sinn.«
»Wann ist er zuletzt hier gewesen?«
»Heute am früheren Abend«, sagte er. »Diesmal trug er einen Arztkittel. Er hat ihn wohl aus unserm Wäscheschrank gestohlen. Er ist durch die Untersuchungsräume gegangen und hat sich als Arzt ausgegeben. Eine der Schwestern hat ihn gestellt, und da hat er sinngemäß gesagt: ›Verhalten Sie sich ganz natürlich, Schwester. Ich bin hier in geheimer Mission.‹«
Ich sah Franklin an und schüttelte den Kopf. »Na, großartig.«
»Wir sind hier an ziemlich schräge Vögel gewöhnt«, sagte er. »Liegt wohl an der Lage. Aber dieser Mann stört uns erheblich.«
»Haben Sie irgendeine Idee, wie er heißt? Oder wo er wohnt?«
»Seinen Namen kennen wir nicht. Aber ich glaube, wir wissen, wo er wohnt. Sobald die Schwester den Wachdienst alarmiert hat, ist er wieder verschwunden. Aber der Wachmann sah ihn auf der Straße und ist ihm nachgegangen. Acht oder neun Blocks von hier ist ein Apartmentgebäude, Ecke Columbia und Woodward, direkt vor der Autobahn. Da hat er den Mann reingehen sehen, konnte aber nicht mehr feststellen, in welche Wohnung.«
Ich notierte die Adresse auf meinem Block. »Wie sieht der Mann aus?« fragte ich. »Woran erkennen wir ihn?«
»Oh, Sie werden ihn mit Sicherheit erkennen«, meinte er. »In der Gegend wird er der einzige Weiße im ganzen Haus sein, da bin ich mir sicher. Und wenn das nicht reicht, müssen Sie nur auf die Perücke achten.«
»Die Perücke? Was für eine Perücke?«
»Der Mann trägt eine blonde Perücke«, erklärte er. »Eine von diesen blonden Riesendingern, die bis hier abstehen.« Er hielt seine Hände dreißig Zentimeter vom Kopf entfernt.
»Große blonde Perücke«, murmelte ich, während ich mir das auf meinem Block notierte. »Was gibt es sonst noch?«
»Er ist ein verrückter Weißer, und er trägt eine riesige blonde Perücke«, wiederholte er. Er klang müde. »Was brauchen Sie sonst noch?«
Wir fanden das Apartmentgebäude an der Ecke von Columbia und Woodward. Trotz all der Arbeit, die man in die Innenstadt gesteckt hatte, brauchte man nicht nach dem »wirklichen« Detroit zu suchen, dem Detroit, in dem Franklin und ich unsere Tage verbrachten, indem wir entweder häusliche Zwistigkeiten schlichteten oder auf Pistolenschüsse reagierten. Das Haus war in seinen besseren Zeiten einmal ganz hübsch gewesen; aber die lagen lange zurück.
»Wie gehen wir vor?« fragte Franklin.
»Wie wohl?« sagte ich. »Wir klappern die Türen ab.«
»Das hatte ich befürchtet.«
Wir begannen mit dem Erdgeschoß, Franklin auf der einen Seite des Flures, ich auf der anderen. Wenn überhaupt eine Tür geöffnet wurde, starrte uns gewöhnlich ein verängstigtes Frauengesicht an, mit zwei oder drei Kindern dahinter. Auf der ersten Etage fand sich endlich eine Frau bereit, uns zu helfen. »Den weißen Knaben meinen Sie? Den mit der Perücke? Wohnt irgendwo im obersten Stockwerk. Was Durchgeknallteres hab ich noch nie gesehen.«
Wir bedankten uns und gingen direkt auf den obersten Stock. »Sie hat uns ’ne
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