Ein Kampf um Rom
Auge
der Menschen. Und Jahre vergingen. Da kam an den Hof von Ravenna aus Hispanien der edle Eutharich, der Amaler mit dem dunkeln
Auge und der weichen Seele: und er, selber krank, erbarmte sich der kranken Halbblinden: und er sprach mit ihr voll Mitleid
und Güte, mit der Häßlichen, welche sonst alle mieden. O wie erquickte das meine dürstende Seele! Und es ward beraten, zur
Tilgung uralten Hasses der beiden Geschlechter,zur Sühne alter und neuer Schuld – denn auch den Baltenherzog Alarich hatte man auf geheime, unbewiesene Anklage gerichtet –, daß die arme, mißhandelte Baltentochter des edelsten Amalers Weib werden sollte. Aber als du es erfuhrst, du, die mich
verstümmelt, da beschlossest du, mir den Geliebten zu nehmen: nicht aus Eifersucht, nicht, weil du ihn liebtest, nein, aus
Stolz: weil du den ersten Mann im Gotenreich, den nächsten Manneserben der Krone, für dich haben wolltest. Das beschlossest
du und hast es durchgesetzt: denn dein Vater konnte dir keinen Wunsch versagen: und Eutharich vergaß alsbald seines Mitleids
mit der Einäugigen, als ihm die Hand der schönen Königstochter winkte. Zur Entschädigung – oder war es zum Hohne? – gab man
auch mir einen Amaler – Theodahad, den elenden Feigling!«
»Gothelindis, ich schwöre dir, ich hatte nie geahnt, daß du Eutharich liebtest. Wie konnte ich –«
»Freilich, wie konntest du glauben, daß die Häßliche die Gedanken so hoch erhebe? Oh, du Verfluchte, und hättest du ihn noch
geliebt und beglückt – alles hätt’ ich dir verziehen. Aber du hast ihn nicht geliebt, du kannst ja nur das Scepter lieben!
Elend hast du ihn gemacht. Jahrelang sah ich ihn an deiner Seite schleichen, gedrückt, ungeliebt, erkältet bis ins Herz hinein
von deiner Kälte. Der Gram um deinen eisigen Stolz hat ihn früh gemordet: du, du hast mir den Geliebten geraubt und ins Grab
gebracht – Rache, Rache für ihn.«
Und die weite Wölbung widerhallte von dem Ruf: »Rache! Rache.«
»Zu Hilfe!« rief Amalaswintha und eilte verzweifelnd, mit den Händen an die Marmorplatten schlagend, den Kreis der Galerie
entlang.
»Ja, rufe nur, hier hört dich niemand als der Gott der Rache. Glaubst du, umsonst hab ich mondenlang meinen Haß gezügelt?
Wie oft, wie leicht hätte ich schon in Ravenna mit Dolch und Gift dich erreichen können: aber nein, hierher hab’ ich dich
gelockt. An dem Denkstein meiner Vettern, vor Einer Stunde an deinem Bette, hab’ ich mit höchster Mühe meinen erhobnen Arm
vom Streiche abgehalten – denn langsam, Zoll für Zoll,sollst du sterben, stundenlang will ich sie wachsen sehen, die Qualen deines Todes.«
»Entsetzliche!«
»O was sind Stunden gegen die Jahrzehnte, die du mich gemartert mit meiner Entstellung, mit deiner Schönheit, mit dem Besitz
des Geliebten. Was sind Stunden gegen Jahrzehnte! Aber du sollst es büßen.«
»Was willst du tun?« rief die Gequälte, wieder und wieder an den Wänden nach einem Ausgang suchend.
»Ertränken will ich dich, langsam, langsam, in den Wasserkünsten dieses Bades, die dein Freund Cassiodorius gebaut. Du weißt
es nicht, welche Qualen der Eifersucht, der ohnmächtigen Wut ich in diesem Hause getragen, da du Beilager hieltest mit Eutharich,
und ich war in deinem Gefolge und mußte dir dienen. In diesem Bade, du Übermütige, habe ich dir die Sandalen gelöst und die
stolzen Glieder getrocknet – in diesem Bade sollst du sterben!«
Und sie drückte an einer Feder. Der Boden des Beckens im obern Stockwerke, die runde Metallplatte, teilte sich in zwei Halbkreise,
welche links und rechts in die Mauer zurückwichen: mit Entsetzen sah die Gefangne von der schmalen Galerie in die turmhohe
Tiefe zu ihren Füßen.
»Denk an mein Auge!« rief Gothelindis, und im Erdgeschoß öffneten sich plötzlich die Schleusentüren, und die Wogen des Sees
schossen ungestüm herein, brausend und zischend, und sie stiegen höher und höher mit furchtbarer Raschheit.
Amalaswintha sah den sichern Tod vor Augen: sie erkannte die Unmöglichkeit, zu entrinnen oder ihre teuflische Feindin mit
Bitten zu erweichen: da kehrte ihr der alte, stolze Mut der Amelungen wieder: sie faßte sich und ergab sich in ihr Los. Sie
entdeckte neben den vielen Reliefs aus der hellenischen Mythe in ihrer Nähe rechts vom Eingang eine Darstellung vom Tode Christi:
das erquickte ihre Seele: sie warf sich vor dem in Marmor gehauenen Kreuze nieder, faßte es mit beiden Händen
Weitere Kostenlose Bücher