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Ein Kampf um Rom

Ein Kampf um Rom

Titel: Ein Kampf um Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Dahn
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verdächtige Tatsache,
     welche man bisher, im Gedräng der allgemeinen Begrüßungen, gar nicht wahrgenommen, daß nämlich auch nichteiner der zahlreichen Verwandten, Freunde, Diener des Königshauses, die zur Unterstützung der Beschuldigten zu erscheinen
     Recht, Pflicht und Interesse hatten, in der Versammlung zugegen war, wiewohl man sie vor wenigen Tagen zahlreich in den Straßen
     und in der Umgegend Roms gesehen hatte. Das erregte Befremden und Argwohn: und lange schien es, als ob an dem Tumult über
     diese Seltsamkeit und an dem Fehlen des Königsgrafen der formelle Anfang der ganzen Verhandlung scheitern solle. Verschiedne
     Redner hatten bereits vergeblich versucht, sich Gehör zu verschaffen.–
    Da erscholl plötzlich aus der Mitte der Versammlung ein alles übertönender Klang, dem Kampfruf eines furchtbaren Ungetümes
     vergleichbar. Aller Augen folgten dem Schall: und sahen im Mittelgrund des Platzes, an den Rücken einer hohen Steineiche gelehnt,
     eine hohe, ragende Gestalt, die in den hohlen, vor den Mund gehaltnen Erzschild mit lauter Stimme den gotischen Schlachtruf
     ertönen ließ. Als er den Schild senkte, erkannte man das mächtige Antlitz des alten Hildebrand, dessen Augen Feuer zu sprühen
     schienen. Begeisterter Jubel begrüßte den greisen Waffenmeister des großen Königs, den, wie seinen Herrn, Lied und Sage schon
     bei lebendem Leib zu einer mythischen Gestalt unter den Goten gemacht hatten. Als sich der Zuruf gelegt, hob der Alte an:
    »Gute Goten, meine wackern Männer. Es ficht euch an und will euch befremden, daß ihr keinen Grafen seht und Vertreter des
     Mannes, der eure Krone trägt. Laßt’s euch nicht Bedenken machen! Wenn der König meint, damit das Gericht zu stören, so soll
     er irren. Ich denke noch die alten Zeiten und sage euch: das Volk kann Recht finden ohne König, und Gericht halten ohne Königsgrafen.
     Ihr seid alle herangewachsen in neuer Übung und Sitte, aber da steht Haduswinth, der Alte, kaum ein paar Winter jünger denn
     ich: der wird’s mir bezeugen: beim Volk allein ist alle Gewalt: das Gotenvolk ist frei.«
    »Ja, wir sind frei!« rief ein tausendstimmiger Chor.
    »Wir wählen uns unsern Thinggrafen selbst, schickt der König den seinen nicht«, rief der graue Haduswinth, »Recht und Gericht
     war, eh’ König war und Graf. Und wer kennt besser allenBrauch des Rechts als Hildebrand, Hildungs Sohn? Hildebrand soll unser Thinggraf sein.«
    »Ja!« hallte es ringsum wider, »Hildebrand soll unser Thinggraf sein.«
    »Ich bin’s durch eure Wahl: und achte mich so gut bestellt, als hätte mir König Theodahad Brief und Pergament darüber ausgestellt.
     Auch haben meine Ahnen Gericht gehalten den Goten seit Jahrhunderten. Kommt, Sajonen, helft mir öffnen das Gericht.«
    Da eilten zwölf von den Frondienern herzu. Vor der Eiche lagen noch die Trümmer eines uralten Fanums des Waldgottes Picus:
     die Sajonen säuberten die Stelle, hoben die breitesten der Steine zurecht und lehnten links und rechts zwei der viereckigen
     Platten an den Stamm der Eiche, so daß ein stattlicher Richterstuhl dadurch gebildet ward. Und so hielt, von dem Altar des
     altitalischen Wald- und Hirtengottes herab, der Gotengraf Gericht.
    Andere Sajonen warfen einen blauen weitfaltigen Wollmantel mit breitem, weißem Kragen über Hildebrands Schultern, gaben ihm
     den oben gekrümmten Eschenstab in die Hand und hingen links zu seinen Häupten einen blanken Stahlschild an die Zweige der
     Eiche. Dann stellten sie sich in zwei Gruppen zu seiner Rechten und Linken auf: der Alte schlug mit dem Stab auf den Schild,
     daß er hell erklang, dann setzte er sich, das Antlitz gegen Osten, und sprach:
    »Ich gebiete Stille, Bann und Frieden! Ich gebiete Recht und verbiete Unrecht, Hastmut und Scheltwort und Waffenzücken, und
     alles, was den Thingfrieden kränken mag. Und ich frage hier: ist es an Jahr und Tag, an Weil’ und Stunde, an Ort und Stätte,
     zu halten ein frei Gericht gotischer Männer?«
    Da traten die nächststehenden Goten heran und sprachen im Chor: »Hier ist rechter Ort, unter hohem Himmel, unter rauschender
     Eiche, hier ist rechte Tageszeit, bei klimmender Sonne, auf schwertgewonnenem gotischem Erdgrund, zu halten ein frei Gericht
     gotischer Männer.«
    »Wohlan«, fuhr der alte Hildebrand fort, »wir sind versammelt, zu richten zweierlei Klage: Mordklage wider Gothelindis,die Königin, und schwere Rüge wegen Feigheit und Saumsal in dieser Zeit hoher Gefahr wider

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