Ein Kampf um Rom
Stäben an den Richterstuhl.
»Nun«, sprach Witichis weiter, »man soll nicht sagen, daß im Volk der Goten ein Weib ungehört, unverteidigt verurteilt werde;
wie schwer sie auch verhaßt sei,– sie hat ein Recht auf Rechtsgehör und Rechtsschutz. Ich will ihr Mundwalt und ihr Fürsprecher
sein.«
Und er trat ruhig dem jugendlichen Ankläger entgegen, gleich ihm das Schwert ziehend. Eine Pause der ehrenden Bewunderung
trat ein.
»So leugnest du die Tat?« fragte der Richter.
»Ich sage: sie ist nicht erwiesen!«
»Erweise sie!« sprach der Richter zu Arahad gewendet.
Dieser, nicht vorbereitet auf ein förmliches Verfahren und nicht gefaßt auf einen Widersacher von Witichis’ großem Gewicht
und kräftiger Ruhe, ward etwas verwirrt.
»Erweisen?« rief er ungeduldig. »Was braucht’s noch Erweis? Du, ich, alle Goten wissen, daß Gothelindis die Fürstin lang und
tödlich haßte. Die Fürstin verschwindet aus Ravenna: gleichzeitig die Mörderin: ihr Opfer kommt in einem Hause Gothelindenswieder zum Vorschein – tot:– die Mörderin aber flieht auf ein festes Schloß. Was braucht’s da noch Erweis?«
Und ungeduldig sah er auf die Goten ringsumher.
»Und daraufhin klagst du auf Mord im offnen Thing?« sprach Witichis ruhig. »Wahrlich, der Tag sei fern vom Gotenvolk: da man
nach solchem Anschein Urteil spricht. Gerechtigkeit, ihr Männer, ist Licht und Luft! Weh, weh dem Volk, das seinen Haß zu
seinem Recht erhebt. Ich selber hasse dieses Weib und ihren Gatten: aber wo ich hasse, bin ich doppelt streng mit mir.«
Und so edel und so schlicht sprach er dies Wort, daß aller Goten Herzen dem treuen Manne zuschlugen.
»Wo sind die Beweise?« fragte nun Hildebrand. »Hast du handhafte Tat? hast du blickenden Schein? hast du gichtigen Mund? hast
du echten Eid? heischest du der Verklagten Unschuldseid?«
»Beweis!« wiederholte Arahad zornig. »Ich habe keinen als meines Herzens festen Glauben.«
»Dann«, sprach Hildebad –
Doch in diesem Augenblick bahnte sich ein Sajo vom Tore her den Weg zu ihm und sprach:
»Römische Männer stehen am Eingang. Sie bitten um Gehör: sie wissen, sagen sie, alles um der Fürstin Tod.«
»Ich fordre, daß man sie höre«, rief Arahad eifrig, »nicht als Kläger, als Zeugen des Klägers.«
Hildebrand winkte, und der Sajo eilte, die Gemeldeten durch die neugierige Menge heraufzuführen. Voran schritt ein von Jahren
gebeugter Mann in härener Kutte, den Strick um die Lenden: die Kapuze seines Überwurfs machte seine Züge unkenntlich: zwei
Männer in Sklaventracht folgten. Fragende Blicke ruhten auf der Gestalt des Greises, dessen Erscheinung bei aller Einfachheit,
ja Armut, von seltner Würde geadelt war. Als er angelangt war vor dem Richterstuhl Hildebrands, sah ihm Arahad dicht ins Antlitz
und trat mit Staunen rasch zurück.
»Wer ist es«, fragte der Richter, »den du zum Zeugen stellest deines Wortes? Ein unbekannter Fremdling?«
»Nein«, rief Arahad und schlug des Zeugen Mantel zurück, »ein Name, den ihr alle kennt und ehrt: Marcus Aurelius Cassiodorius.«
Ein Ruf allgemeinen Staunens flog über die Thingstätte.
»So hieß ich«, sprach der Zeuge, »in den Tagen meines weltlichen Lebens: jetzt nur Bruder Marcus.«
Und eine hohe Weihe lag in seinen Zügen – die Weihe der Entsagung.
»Nun, Bruder Marcus«, forschte Hildebrand, »was hast du uns zu melden vom Tode Amalaswinthens? Sag uns die volle Wahrheit
und nur die Wahrheit.«
»Die werd’ ich sagen. Vor allem wißt: nicht Streben nach menschlicher Vergeltung führt mich her: nicht den Mord zu rächen
bin ich gekommen – die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr! – Nein, den letzten Auftrag der Unseligen, der
Tochter meines großen Königs, zu erfüllen, bin ich da.«
Und er zog eine Papyrosrolle aus dem Gewande.
»Kurz vor ihrer Flucht aus Ravenna richtete sie diese Zeilen an mich, welche ich, als ihr Vermächtnis an das Volk der Goten,
mitzuteilen habe: ›Den Dank einer zerknirschten Seele für deine Freundschaft. Mehr noch als die Hoffnung der Rettung labt
das Gefühl unverlorner Treue. Ja, ich eile auf deine Villa im Bolsenersee: führt doch der Weg von da nach Rom, nach Regeta,
wo ich vor meinen Goten all meine Schuld aufdecken und auch büßen will. Ich will sterben, wenn es sein muß: aber nicht durch
die tückische Hand meiner Feinde, nein, durch den Richterspruch meines Volkes, das ich Verblendete ins Verderben geführt.
Ich habe
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