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Ein Kampf um Rom

Ein Kampf um Rom

Titel: Ein Kampf um Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Dahn
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und ein weiteres Jahr hatte ich darüber nachzudenken,
     ob Christus, als Gott Vater, zugleich seiner eignen jungfräulichen Mutter Vater, also sein eigner Großvater sei. Nun, über
     all diesen Studien drohte mir mein von Natur gar nicht zu verachtender Verstand abhanden zu kommen.
    Zum Glück ward ich sterbenskrank, und die Ärzte verboten mir Athen und alle Bücher. Sie schickten mich nach Kleinasien. Ich
     rettete nur einen Thukydides in meinen Reiseranzen. Und dieser Thukydides rettete mich. Ich las und las in der Langeweile
     der Reise seine herrliche Geschichte von der Hellenen Taten in Krieg und Frieden: und nun bemerkte ich mit Staunen, daß der
     Menschen Tun und Treiben, ihre Leidenschaften, ihre Tugenden und Frevel eigentlich doch viel anziehender und denkwürdiger
     seien als alle Formeln und Figuren heidnischer Logik – von der christlichen Logik vollends zu schweigen.
    Und wie ich nach Ephesos gelangte und durch die Straßen schlenderte, kam plötzlich über mich eine wunderbare Erleuchtung.
     Denn ich wandelte über einen großen Platz: da stand vor mir die Kirche des heiligen Geistes: und war erbaut auf den Trümmern
     des alten Dianatempels. Und zur Linken stand ein zerfallner Altar der Isis, und zur Rechten ragte das Bethaus der Juden. Da
     kam plötzlich über mich der Gedanke: ›Die alle glaubten und glauben nun steif und fest, sie allein wüßten das Rechte von dem
     höchsten Wesen. Und das ist doch unmöglich: das höchste Wesen hat, wie es scheint, gar kein Bedürfnis, von uns erkannt zu
     werden – ich hätte es auch nicht, an seiner Statt   –, und es hat die Menschen geschaffen, daß sie leben, tüchtig handeln und sich wacker umtreiben auf Erden. Und dies Leben,
     Handeln, Genießen und Sichumtreiben ist eigentlich alles, worauf es ankommt. Und wenn einer forschen und denken will, so soll
     er der Menschen Leben und Treiben erforschen.‹
    Und wie ich so stand und sann, da schmetterten Trompeten:ein glänzender Reiterzug trabte heran: an seiner Spitze ein herrlicher Mann auf einem Rotscheck, schön und stark wie der Kriegsgott.
     Und ihre Waffen blitzten, und die Fahnen flogen, und die Rößlein sprangen. Und ich dachte mir: ›Die wissen, warum sie leben:
     und brauchen keinen Philosophen darum zu fragen.‹ Und wie ich mit verwunderten Augen den Reitern zusah, schlug mich ein Bürger
     von Ephesos auf die Schulter und sprach: ›Ihr scheint nicht zu wissen, wer das war, und wohin sie ziehen? Das ist der Held
     Belisarius, der zieht in den Perserkrieg.‹ ›Gut‹, sagte ich, ›Freund! Und ich ziehe mit!‹ Und so geschah’s zur selben Stunde.
    Und Belisarius bestellte mich bald zu seinem Rechtsrat und Geheimschreiber. Und seither habe ich einen doppelten Beruf: bei
     Tage mach’ ich Weltgeschichte oder helfe sie machen: und bei Nacht schreibe ich Weltgeschichte.«
    »Und welches ist deine bessre Arbeit?«
    »Freund, leider das Schreiben! Und das Schreiben wäre noch besser, wenn die Geschichte besser wäre. Denn ich bin meistens
     gar nicht einverstanden mit dem, was wir tun: und tu’s nur mit, weil’s doch besser ist, als gar nichts tun oder philosophieren.
     Bringe den Tacitus, Sklave!« rief er zur Zelttür hinaus.
    »Den Tacitus?«
    »Ja, Freund, vom Livius haben wir jetzt genug getrunken. Du mußt wissen: ich nenne meine Weine je nach ihrem historischen
     Charakter. Zum Beispiel dieses lärmende Stück Weltgeschichte, das wir hier aufführen, dieser Gotenkrieg, ist ganz gegen meinen
     Geschmack: Narses hat ganz recht, erst sollten wir die Perser abwehren, eh’ wir die Goten angreifen.«
    »Narses! was treibt mein kluger Freund!«
    »Er beneidet Belisar und läßt sich’s selbst nicht merken. Außerdem macht er Kriegs- und Schlachtenpläne. Ich wette, er hatte
     Italien schon erobert, ehe wir landeten.«
    »Du bist nicht sein Freund. Er ist doch ein hoher Geist. Warum ziehst du Belisar vor?«
    »Das will ich dir sagen«, sprach Prokop, den Tacitus einschenkend.
    »Mein Unglück ist, daß ich nicht Geschichtsschreiber Alexandersoder Scipios geworden. Mein ganzes Herz sehnt sich, seit ich der Philosophie und Theologie genesen, nach Menschen, nach dem
     vollen, ganzen Menschen, mit Fleisch und Blut. Da widern mich diese spindeldürren Kaiser und Bischöfe und Feldherrn an, die
     alles mit dem Verstand erklügeln; wir sind ein verkrüppeltes Geschlecht geworden: die Heroenzeit liegt hinter uns! Nur Belisarius,
     der Biedre, ist noch ein Heros, wie aus der alten Zeit. Er

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