Ein Kampf um Rom
vergangener Zeiten sollte dabei nicht zuletzt die Faszination der Leser durch das Ferne und Fremde bedienen.
Völlig anders verhält es sich jedoch im Hinblick auf die berichteten Ereignisse. Neben vereinzelt wörtlichen Bezugnahmen auf
seine Quellen (Prokops ›Gotenkrieg‹ und ›Geheimgeschichte‹ vor allem), fallen im Vergleich zu Dahns eigenen historiographischen
Schriften hier zahlreiche Modifikationen, ja teilweise erhebliche Verfälschungen ins Auge, welche schon die positivistische
Kritik heftig beanstandete. 89 So starb etwa Athalarich erst acht Jahre nach dem Tod seines Großvaters, und zwar keineswegs als edler Träumer, sondern infolge
seiner »Ausschweifungen« – »Trunk« und »Umgang mit schlechten Weibern«, wie Prokop lapidar schreibt. 90 Witichis, von dem der Roman eine Apotheose des treuen Schmerzenskönigs noch im Untergang entwirft, ließ sich nach der Übergabe
von Ravenna mit Mataswintha in die byzantinische Gefangenschaft führen; statt sich selbst zu richten (V.2 / 29), heiratete die Witwe später Justinians Neffen Germanus. Hildebad wurde nicht »schändlich« von Römern ermordet (VI.1 / 1), sondern fiel einem gotischen Anschlag zum Opfer. Totila, auf den für den Leser des ›Kampfes um Rom‹ nirgends auch nur
der Anflug eines Makels fällt, wollte realgeschichtlich die ihm angetragene Regentschaft nicht eher annehmen, bis sein Vorgängers
Erarich liquidiert worden sei. Theodora starb schon 548, also drei Jahre bevor Narses das Oberkommando in Italien erhielt,
Belisar hingegen wurde erst 564 der Teilnahme an einer Verschwörung angeklagt. 91
Man könnte die Reihe entsprechender Beispiele beliebig fortsetzen. Unschwer ist zu erkennen, daß sich die vorgenommenen Retuschen
teilweise der kompositorischen Einheitlichkeit des Textes verdanken. Vor allem aber gründen sie in einer spezifischen Darstellungsabsicht.
Exakte Belegbarkeit wird jeweils durch spektakuläre Gegen-Geschichten ersetzt, die zudem stets der Idealisierung der Goten
zugute kommen. In gut historistischem Sinne zu »zeigen, wie es eigentlich gewesen«: 92 daran hat Dahn offensichtlich nur eingeschränktes Interesse.
Zu den bewährten Kunstgriffen des historischen Romans gehört die Erfindung zeittypischer Charaktere (wie Valeria oder Julius
Montanus), mit denen die Geschicke der ›bekannten‹Personen verflochten sind. Im ›Kampf um Rom‹ fügen sie sich stimmig in das vielschichtige Panorama jener Umbruchsepoche ein,
»da eine alte Welt unter schweren Schauern versinkt und eine neue unter rauhen Stürmen aufsteigt« (VI.2 / 3). Durch die Gestalt des Cethegus jedoch – ein Name, der von Prokop nur beiläufig einmal erwähnt wird93 – erweitert Dahn
die genrespezifische Gepflogenheit radikal, insofern er den Machenschaften dieses allgegenwärtigen Drahtziehers eine für die
Dynamik der politischen Geschehnisse unverzichtbare Funktion zukommen läßt. Daß ausgerechnet eine »aus vielen Personen (.
. .) zusammengestaltete« 94 zur Symbol-Figur für kollektives Verhalten, den Abfall der Italiener, zuletzt gar als »ein merkwürdiges Stück Weltgeschichte«
bezeichnet wird (VII/14), ist unter einem anderen Gesichtspunkt indes kein Zufall.
Auch wenn die Einheit des Romans mit seinen gewaltigen Stoffmassen zu perspektivischen Verkürzungen zwang (deren Grundstruktur
seine Einleitung mit dem nächtlichen Bund der wichtigsten gotischen Helden vorgibt), neigt Dahn nämlich allenthalben dazu,
die Ursachen geschichtlicher Taten und Abläufe sehr entschieden zu personalisieren, die Haupt- und Staatsaktionen also ständig
nicht nur privat einzubetten, sondern sie auf diese Weise nachgerade zu begründen.
Fast die gesamte historische Entwicklung bleibt so auf Befindlichkeiten eines verhältnismäßig überschaubaren (und gleichsam
alterslosen) Personenkreises bezogen. Selbst dort, wo es um politische Ziele geht, stellt sich das Handlungsgerüst des Romans
als eine ununterbrochene Kette von individuellen Impulsen dar, von Machtgier und Heldentum oder von Niedertracht und Edelmut.
Eine besonders wirksame Triebfeder ist dabei zumal die Liebe, 95 und zwar eine in der Gefühlswelt des bürgerlichen Zeitalters beheimatete Liebe, mit der Dahn seine Figuren aus der Spätantike
ausstattet. Allenthalben wird sie zum mächtigsten Vehikel des geschichtlichen Prozesses.
Athalarich kommt seiner verzehrenden Leidenschaft für Camilla wegen zu Tode (II/11). Witichis scheitert
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