Ein Kampf um Rom
an der Rache einer
verschmähten Frau (V.2 / 7.23). Der Verrat eines Nebenbuhlers ist dafür verantwortlich, daß Totila die Entscheidungsschlachtbei Taginä verliert (VI.2 / 37). Cethegus’ Einfluß in Byzanz gründet auf seiner alten Liebschaft mit Theodora (VI.1 / 11), deren erotische Verstrickungen ihr zuletzt selbst zum Verhängnis werden (VII/12).
Auch auf der ideologischen Ebene setzt sich dieses Motiv fort, sind es doch unglückliche Liebeserfahrungen, die Teja zur Erkenntnis
seines »furchtbaren Gottes« finden lassen (VI.2 / 32), dessen Botschaft das geistige Zentrum des Romans bildet. Statt komplexe Ursachen und Zusammenhänge sichtbar zu machen,
läuft alles immer wieder auf ein gleiches Schema hinaus (innerhalb dessen Dahn im Falle Camillas oder Mataswinthas jedoch
durchaus Gespür für ambivalente psychische Gemengelagen beweist). Nur randständig werden demgegenüber andere Kausalitäten
der Geschichte bloßgelegt. Die strategische Rationalisierung der Politik und die daraus resultierende Modernisierung der Kriegsführung
in Byzanz zählen immerhin dazu: Angesichts der neuen Waffen des Martinus, eines Wissenschaftlers, der sich, hierin ein entfernter
Vorläufer ähnlicher Figuren aus der Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg, mit schlechtem Gewissen in den Dienst der Zerstörung
stellt (V.1 / 4), wird jedes Heldentum des persönlichen Kräftemessens anachronistisch, 96 dem die nicht allein im Hinblick auf ihre politische Organisation noch auf der Stufe eines naiven, ursprungsnahen Volkes
stehenden Goten anhängen (VI.2 / 7).
Solche differenzierteren Ansätze werden im ›Kampf um Rom‹ allenthalben von kalkulierten Effekten überwuchert, die sich in
großer Bandbreite publikumswirksamer Anleihen und Versatzstücke bedienen. So plündert Dahn einerseits ehrwürdige Vorlagen
wie Homer (bei Julius’ Tod in der Rüstung des Freundes: VI.2 / 38) oder Schiller (in der Figur des Mohren Syphax). 97 Er läßt Stimmungswerte vom Schauerstück (bei Amalaswinthas Reise in den Tod: IV/4.5) bis hin zur Idylle (in der Kindheit
Adalgoths und Gothos: VI.1 / 3) anklingen und überschreitet gelegentlich die Grenzen zur Kolportage. Verborgene Prinzen werden aufgeboten (VI.2 / 17), entführte Leichen und vergrabene Schätze (VII.3), drehbare Statuen und prophetische Träume, dazu eine gleich dreifache
Hochzeit (VI.2 / 18),unerhörte Ränke und Bosheiten, doch auch höchster Edelmut, und natürlich jede Menge nahegehender Liebes-, Kampf- und Sterbeszenen.
Besonders aufschlußreich ist eine nachträgliche Aussage Dahns über den Schluß des Romans: »Die Gothenschlacht am Vesuv, der
Abzug der letzten Gothen (. . .) müßte in einem großen Carton gezeichnet (. . .) werden:– der dichterische Ausdruck ist hier
dem Gegenstand nicht gewachsen.« 98 Mit diesem Hinweis gibt er seine Affinität zu jenem gründerzeitlich überaus beliebten Dekorationsstil zu erkennen, als dessen
exemplarischer Ausdruck die Historienmalerei gelten darf. 99 Hier wie dort ist das leitende Prinzip eine ›theatralische‹ Übersteigerung: die Fiktion einer aufwendig ausstaffierten Bühne,
wobei »das Bildnis (. . .) des Rahmens wert« ist (VII/6). Entsprechend handelt es sich bei den Figuren nicht um realistische
Charakterporträts. Vielmehr sind sie Akteure eines »bunten« (III/4), eines »prachtvollen« (VI.1 / 11) und »herrlichen« (VI.2 / 23), ja eines »fast über Menschenmaß hinaus« gehenden (VII/15) »Schauspiels« (VI.2 / 30). Ihre superlativische Existenz, daß sie nämlich, gleich ob Goten, Römer oder Byzantiner, auf verschiedene Weise »groß«
oder »gewaltig« sind (I/1; III/14.15; V.1 / 4.8; VI.2 / 7; VII/15), nicht nur ihre Zeit überragen (VI.2 / 6.28; VII/ 16), sondern in jeder Hinsicht das »Übermenschliche« (IV/14; VI.2 / 7) zu streifen vermögen, äußert sich in Gebärden der Bedeutsamkeit, die mal sentimental, mal pathetisch, mal grell, aber stets
emotionsgeladen ins Extreme gesteigert sind. Historisierung gerät unter diesen Vorzeichen zu jenem Streben nach Monumentalität,
das (in seltsamer Dialektik zu Jacob Burckhardts Diagnose zeitgenössischen »Knirpstums«), 100 den politischen und wirtschaftlichen Aufstieg des Deutschen Reiches kulturell flankierte.
Die Dominanz äußerer Aktion, in der die Figuren (wie bei Schiller und seinen Epigonen des wilhelminischen
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