Ein Kampf um Rom
nicht minder, wenn er bündig feststellt, er sei »der Stärkere« (III/13; vgl. VI.2 / 9). Wer, wie der byzantinische Rat Tribonianus, derlei ›Realismus‹ als »ungerecht« (III/13) kritisiert und eine »Moralpolitik«
(III/14) anmahnt, 142 ruft bloß »kaltes Lächeln« hervor (III/14).
Trotz solcher Botschaften von der höheren Befugnis der Gewalttätigeren (und obwohl Julius’ christlicher Traum von der »ewigen«
Harmonie zwischen den Völkern selbstverständlich eine Chimäre bleibt (V.2 / 3)), ist unverkennbar, wie betont der Roman auf der Aufgabe der Bewahrung des Friedens (und des Rechts) als »weisem Werk«
(IV/14) eines wahren Staatsmanns insistiert, der (wie Theoderich oder Totila) »Gegner versöhnend zu ergreifen« (VI.1 / 2; vgl. I/6; V.2 / 4; VI.2 / 1. 3. 15.16) vermag und durch seine Klugheit der »Mäßigung« (VI.2 / 1) auch wirtschaftliche Prosperität verbürgt (IV/9; VI.2 / 1). Die gleichsam angeborene »Gewalttätigkeit und Rauheit« (I/5) der Goten, ihre »Rauflust« (V.1 / 6; vgl. IV/9. 10. 12; V.2 / 3), wird von den Befehlshabern in diesem Sinne vorbildlich zurückgenommen: sie dient nicht dem Angriff, sondern allein der
Verteidigung, in welcher sich dann allerdings ihre Kraft aufs hervorragendste bewährt. »Der Krieg ist gut«, artikuliert Witichis
eine für dieses Bewußtsein bezeichnende Paradoxie: »aber wehe dem Frevler, der ohne Recht und ohne Grund den Krieg beginnt!«
(IV.7) An Cethegus appelliert er, »unsre Völker« nicht »hinraffen« zu lassen (V.1 / 8), und sendet Belisar »ein Friedensanerbieten (. . .) mit den mäßigsten Vorschlägen« (V.2 / 4); ja er »liebt den Frieden mehr als selbst den Sieg« (V.2 / 5). Keineswegs aggressionslüstern, sondern erst aus unabweisbarer Notwehr heraus nimmter den Kampf auf (V.1 / 6). In Byzanz dagegen sprechen nur Tribonianus und Prokop »für den Frieden« (VI.2 / 5).
Ausführlich, ja kraß, werden die Schrecken und Greuel des Krieges geschildert, welche die Menschen »zu wilden Tieren« machen
(V.2 / 15; vgl. V.1 / 4; V.2 / 5.19; VI.1 / 8). Auf ganz besondere Weise trift das für die »eiserne Walze« des Narses zu (VI.2 / 23), die einen radikalen Vertreibungs- und »Vernichtungs«-Feldzug gegen das gotische Volk ins Werk setzt (VI.2 / 26; vgl. VII/ 1.4). Mit dieser (aus der Perspektive des Autors) Entartung des Kriegs zu einem reinen »Mordkampf der Völker«
(VII/3) rechtfertigt Teja seine brutalen Geiselhinrichtungen.
In diesem Zusammenhang ist noch etwas anderes bedeutsam. Während nämlich die nationalistische Ideologie mit der Herabsetzung
anderer Völker einherzugehen pflegt, bewahrt sich Dahn, ungeachtet seines (zuweilen) dröhnenden Germanismus, einen durchaus
zu Unterscheidungen fähigen Blick jenseits der ethnopsychologischen Stereotypen, mit denen er sich keineswegs zurückhält.
So sind die Römer zwar »undankbar« (I/1.6) und »schlangenfalsch« (I/1; vgl. VII/6.16; V.1 / 6), den Goten jedoch zugleich »durch alle Mittel der Kultur und eines langbestehenden Staatswesens unendlich überlegen« (II/1;
vgl. II/4.11). Respekt wird nicht nur der »alt-republikanischen Gesinnung« des Valerius (IV/9) gezollt: vielmehr bringt der
Roman für den Aufstand eines »freien (. . .) Volkes« (IV/7) gegen »die Schmach der Fremdherrschaft« (II/1), und sei es, daß
Germanen eine solche ausüben, grundsätzlich Verständnis auf. 143
Ähnliche Ambivalenzen spiegelt der Befund im Falle der Byzantiner, auch wenn der Erzähler sie, analog zur zeitgenössischen
Bezeichnung Frankreichs, als »tückische Erbfeinde« der Goten (IV/9) etikettiert, mit denen (so Amalaswintha) »kein Friede
denkbar« ist (IV/13). Entsprechend heftig fallen die Urteile über sie aus. Daß sie unverbesserlich »falsch« (I/1; IV/13) und
»treulos« (II/1) sind, »Schurken« (VII/6) eben, verifizieren ihre Taten vielfach. Heuchlerisch inszeniert man den Beginn des
Krieges, »Verrat und Tücke« setzt man als Mittel beim Untergang des Witichis ein (VI.1 / 1), und skrupellos bricht man Totilas Waffenstillstand (VI.2 / 19 f.). Dabei richtet sich der universaleZwangscharakter byzantinischer Politik nach außen wie nach innen (IV/9; vgl. V.2 / 26; VI.1 / 1). Der verkommene Hof der »gesindelreichen Bettlerstadt« (VI.2 / 12), wo im Gegensatz zur aufrechten
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