Ein Kampf um Rom
damals schon fünfzehn
Jahre Studium mittelalterlicher Geschichte hinter sich hatte, erst noch des k. preussischen Culturkampfes bedurft hätte, um
zu entdecken, daß der Widerstreit von Religion und Staat ein echt tragischer Stoff sei.« 161 Schließlich habe er »über ein Menschenalter in München und in Würzburg lehrend, (. . .) die ganze welterobernde, staatbeherrschende,
seelenunterjochende Gefährlichkeit der katholischenKirche einigermaßen kennen und zum Ausdruck bringen gelernt«. 162 Daneben kommt es aber auch zu wiederholten Bekundungen der »Bewunderung« vor, ja gar der »geheimen Liebe zu dem Katholicismus«
mit seiner »Poesie« und »großartigen Folgestrenge«. 163 Nicht gegen diesen allgemein wende er sich, beteuert er, sondern nur gegen »das bösartige spanisch-italienische Gift, welches
man Jesuitismus nennt«. 164
Die Konfrontation von Staat und Kirche ist allerdings nur
ein
Faden des politischen Beziehungsgeflechts im Umfeld des italienischen Einigungskrieges. Dahn selbst verweist auf die historische
Parallelität der Mächtekonstellation von 1858, der Planungsphase des Romans, zu der Krise des Ostgotenreiches in Italien:
»Da sah ich ja deutlich, nur aus dem VI. in das XIX. Jahrhundert versetzt, die großen philosophischen, nationalen, weltgeschichtlichen Fragen eines ›Kampf um Rom‹. Der heilige
Vater, vor Allem auf eigne weltliche Macht bedacht, die Italiener, in sittlich berechtigter (. . .) ausbrechender geschichtlichnationaler
Erhebung, die Österreicher, freilich in manchem Bedacht keine Gothen, aber formal in vollem Recht, lange Jahre vergeblich
beflissen, durch Verhätschelung das knirschende Mailand, das gährende Venedig zu gewinnen, und jedenfalls bärenhaft tapfer,
endlich Justinian in Byzanz vergleichbar, der listige Imperator an der Seine« – Napoleon III. –, »der, schöne Worte von Freiheit im Munde führend, selbstische Ränke spann (. . .). Das war ein ›Kampf um Rom‹, all over
again.« 165
Sicher sind einzelne dieser Analogien im Text mitzulesen. Dennoch wäre es verfehlt, ihn deswegen auf einen politischen Schlüsselroman
zu reduzieren. 166 Vielmehr diente die zeitübergreifende Analogie wohl eher als letzter Anstoß zur Zusammenführung weiter zurückreichender Themen
Dahns. Die »neu-geschichtliche« ist, wie er schreibt, in der Tat nur eine (dazu die späteste) der »zahlreichen (. . .) Wurzeln
dieses Gewächses«. Ihr vorgeordnet – und tiefreichender als sie – sind die »philosophische«, die »alt-geschichtliche« oder
die »national-patriotische«. 167
Übergänge zum Zeitroman stellen sich allenthalben dort her, wo der ›Kampf um Rom‹ im historischen Kostüm Wandlungender gesellschaftlichen Realität des 19. Jahrhunderts verhandelt. Ein gewichtiger Akzent gilt dabei zweifellos der Stellung der Frau, deren Rollenverständnis in Bewegung
geraten war. 1865 wurde, unter dem Vorsitz von Louise Otto, der ›Allgemeine Deutsche Frauenverein‹ gegründet, der mit konkreten
Postulaten nach Veränderung an die Öffentlichkeit trat. Das Hauptziel bestand im Zugang bürgerlicher Frauen zu den Männerdomänen
Bildung und Erwerb. 168
Dahn weist Frauen für den Gang der Handlung eine entscheidende Rolle zu. Welche Absicht dahintersteht, läßt sich unschwer
rekonstruieren: ihm geht es um die Zurückweisung weiblichen Anspruchs auf autonomes und den Männern gleichberechtigtes Handeln. 169 Amalaswintha ist »herrschsüchtig« (I/5), da man »das hochbegabte Mädchen lediglich um ihres Geschlechtes willen zurücksetzte«
(II/4). Den verächtlichen Vorurteilen der traditionalistischen Gotenpartei mit ihrem Spott über die »Weiberherrschaft« (V.1 / 14) und der »rohen, plumpen Gewalt« gegenüber, in der allein sie »die Überlegenheit der Männer sieht« (III/3; vgl. I/5), will
sie ihre »Überzeugung« praktisch unter Beweis stellen, »daß sie, das Weib, allen Aufgaben des Lebens und des Regierens so
gut wie der begabteste Mann, besser als die meisten Männer, gewachsen, daß sie berufen sei, das allgemeine Vorurteil von der
geistigen Unebenbürtigkeit ihres Geschlechts glänzend zu widerlegen. (. . .) sie wollte so regieren, daß die stolzesten Männer
ihre Überlegenheit sollten einräumen müssen. (. . .) Keines Mannes Rat und Hilfe wollte sie dulden.« (II/4). Genau das aber
geht schief. Von ihrer Tochter (deren Entwicklung sie damit unheilvoll beeinflußt), wird sie als eine Art
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