Ein Kampf um Rom
menschliche Zerstörung, welche die »wechselnden Gebote« der »Konzilien« anzurichten vermögen, erhellt aus dem Fall
seiner Eltern, die (dazu noch aus eigennützigen Gründen), eines Ehehindernisses wegen beim Bischof anzeigt werden. Ihr Schicksal
soll exemplarisch demonstrieren, daß, wenn der zunächst ausgeübte seelische Druck (durch die Erzeugung von »Gewissensbissen«)
nicht ausreicht, die Kirche bedenkenlos zu äußeren Sanktionen greift, denen die Betroffenen schutzlos ausgeliefertsind, sofern das kanonische Recht auch in Zivilangelegenheiten gilt (IV/2.3).
Gerade in der antikirchlichen Polemik des Romans ist die Transparenz auf eine aktuelle politische Situation hin nicht zu übersehen.
Seinem Anliegen zuliebe weicht Dahn hier kraß von der historischen Realität ab. Manches unterschlägt er, wie etwa die Tatsache,
daß Papst Agapet von Theodahad nach Konstantinopel geschickt worden war, um Justinian von seinen Angriffsplänen auf das Gotenreich
abzubringen. Oder daß Silverius, den die Goten selbst auf den Papstthron erhoben (nicht nur »genehmigten«: V.1 / 8!), nach der Eroberung Roms durch Belisar im Dezember 536 nach Byzanz geführt und dort, als Witichis die Stadt belagerte,
seiner »Gotenfreundschaft« wegen als Hochverräter verurteilt und verbannt wurde. (An den erlittenen Mißhandlungen starb er
noch im selben Jahr – nicht erst 553: VII/2). 155
Vor allem aber ist von Bedeutung, daß die sogenannte ›Constantinische Schenkung‹, für die Dahn Silverius eine gültige »Urkunde«
vorlegen läßt, um das »uralte Recht des heiligen Petrus« auf einen Kirchenstaat »für ewige Zeiten« (V.1 / 12) zu untermauern, frühestens um 750 in Frankreich entstand. 156 Als Fälschung entlarvt wurde diese juristische Grundlage der weltlichen Herrschaft des Papstes erst Mitte des 15. Jahrhunderts von dem humanistischen Philologen Lorenzo Valla. Offensichtlich aber legte Dahn Wert darauf, im Kontext seiner
Handlung Silverius als strategischen Lügner und Betrüger bloßzustellen (ebenso den Glauben an nützliche »Wunder«: V.1 / 12). Dem Kirchenstaat wird damit die historische Berechtigung entzogen, der säkulare Machtanspruch des Papstes der Lächerlichkeit
preisgegeben.
Zeitgeschichtlicher Anlaß für diese Konstruktion ist die Entwicklung der katholischen Kirche unter dem Pontifikat Pius’ IX.,
das eine strikte Abwehr moderner Zeitströmungen kennzeichnet (im ›Syllabus Errorum‹, 1864), bei gleichzeitiger Offensive zugunsten
nicht nur seiner hierarchischen Autorität (mit der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit in Fragen der Glaubens- und
Sittenlehre auf dem Ersten VatikanischenKonzil 1870). Elf Jahre zuvor, als der italienische Einigungskrieg begann, in dem er eine Gefahr für das Fortbestehen des
Kirchenstaates erblickte – wie umgekehrt die Liberalen in diesem das Hindernis für nationale Selbstbestimmung –, hatte der Bischof von Rom in der Allokution ›Maxima animi‹ zum wiederholten Male auf seinem weltlichen Machtanspruch insistiert. 157
Für zusätzliche Brisanz sorgte der sogenannte ›Kulturkampf‹, der nach der Reichsgründung zumal in Preußen mit großer Heftigkeit
ausgetragen wurde. Rasch wich hierbei das ursprüngliche Ziel der Regierung, die Autonomie des Staates und der Politik gegenüber
jeglichem geistlichen Einfluß sicherzustellen, dem Versuch zur Errichtung einer staatlichen Aufsicht über die Kirche. Die
katholische Opposition, die sich dagegen wehrte, wurde von Bismarck aufgrund ihrer Bindung an das Papsttum als ›reichsfeindlich‹
verdächtigt; von prinzipieller Unvereinbarkeit zwischen Katholizismus und moderner Intellektualität sprachen hingegen die
Liberalen.
Dahn nahm in dieser Auseinandersetzung, die auch in der Literatur hohe Wellen schlug (unter den namhaften Autoren etwa bei
C. F. Meyer, Wilhelm Busch oder Fanny Lewald), eine exponierte Stellung ein, war ein engagierter, »recht lauter Rufer im Streite
gegen jene Übergriffe«, die er von seiten der Kirche in die Rechte des Staates am Werke sah. 158
Auch wenn bereits der Titel seines Romans (unbeabsichtigt!) als tagespolitisches Fanal empfunden werden konnte, 159 berief sich der Autor, der im übrigen zwischen »strenggläubigen Katholiken« und den »ultramontanen im
heutigen
staatsfeindlichen Sinn« unterschied, 160 auf länger zurückreichende Erfahrungen und ein zeitübergreifendes Paradigma: »Als ob ein Mann, der
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