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Ein Kelch voll Wind

Ein Kelch voll Wind

Titel: Ein Kelch voll Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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lehnte sich gegen die Wand der winzigen Umkleidekabine und trank einen Schluck Eiskaffee.
    »A ch ja?«, fragte ich abwesend und öffnete die Haken meines BH s, um ein gebatiktes, rückenfreies Neckholdertop anzuprobieren. »W as hat sie denn gesagt?«
    »S ie hat gesagt, das nächste Mal, wenn ich ein Treffen des Zirkels verpasse, macht sie mich zu Kleinholz.«
    Ich grinste kurz– Raceys Mom war einfach zu cool. Eigentlich mehr wie eine ältere Schwester. Meine Großmutter war auf ihre Art auch ziemlich lässig, aber man kam eben einfach nicht um die Tatsache herum, dass sie eine Oma war. Ohne Zweifel eine, der man ihr Alter nicht ansah– eigentlich hatte sie sich, seit ich denken konnte, nicht wesentlich verändert. Das waren die Gene, die ich erben wollte! Die und Nans force de magie. »U nd sie wäre das Hackebeil?«, riet ich.
    »J up, so ist es. Dreh dich um, damit ich deinen Rücken sehen kann. Oh wow! Cool. Sexy. Beides zusammen.«
    »I ch geh mal gucken.« Ich zog den Vorhang, der wie eine indische Tagesdecke aussah, zur Seite und trat nach draußen, um mich in dem Ganzkörperspiegel an der Wand zu betrachten. Ich liebte das Botanika – sie hatten richtig cooles Zeug. Lebensmittel, Kaffee, Tee und Hexenzubehör wie Kerzen, Öle und Kristalle. Oder auch Bücher, Musik, Räucherstäbchen. Und eine kleine Auswahl gebatikter, flippiger Retroklamotten. Außerdem fühlte sich hier alles so normal an. Ich hatte Racey von meiner grässlichen Vision erzählt, aber nur einen kleinen Auszug, und ich hatte nicht erwähnt, wie viel Angst ich dabei gehabt hatte. Sogar jetzt, Tage später, fühlte ich mich immer noch ein bisschen seltsam, als würde bald etwas passieren. Zu blöd.
    Der Spiegel draußen war billig und verzerrte das Bild, sodass ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste, um das Top sehen zu können. Ich hab schon echt Schwein gehabt, dachte ich, während ich mich ansah. War das arrogant? Ja, schon. Aber auch realistisch. Warum sollte ich so tun, als würde ich mich nicht über meine natürlichen Vorzüge freuen? Ich zog mein Shirt nach oben, sodass mein silbernes Bauchnabelpiercing sichtbar wurde. Cool.
    »W ar deine Großmutter böse?«, fragte Racey, die ihren Kaffee mit einem Strohhalm umrührte.
    »O h ja.« Ich zog eine Grimasse. »S ie hat vor Wut gekocht. Ich musste das ganze Haus staubsaugen.«
    »D u armes Aschenputtel.« Racey grinste. »G ott sei Dank habt ihr nur ein kleines Haus.« Der Kontrast zwischen ihrem dunkelbraunen Haar und den weißen Strähnen verlieh ihr eine Art Tarnlook, so ähnlich wie bei einem Zebra oder Tiger. Ihre Augen hatte sie heute aquamarinblau umrandet. Seit dem Kindergarten war sie meine beste Freundin und Komplizin. Es half, dass ihre Eltern und meine Großmutter zu demselben Hexenzirkel gehörten. Dem Zirkel, den wir in der Neumondnacht so schändlich hatten sausen lassen, um durch die Bars unseres Viertels zu ziehen.
    »A ber das war es wert«, sagte ich bestimmt und betrachtete meine Rückenansicht. »I ch liebe das Amadeo’s, es ist voller Collegetypen und Touristen. Oder hattest du vielleicht keinen Spaß?« Ich lächelte bei dem Gedanken daran, dass ich keinen einzigen Drink hatte zahlen müssen– und das nicht, weil ich die Jungs mit Zaubersprüchen bearbeitet hätte. Hier war schlicht und einfach der gute alte weibliche Charme am Werk gewesen.
    »D och, klar, aber am nächsten Tag war meine Magie einen Dreck wert. Das lag am Alkohol.«
    »D as stimmt allerdings«, gab ich zu und entschied mich, das Top zu kaufen. Eines Tages würde ich mir einen Ausweg aus diesem ärgerlichen Dilemma überlegen müssen. Ich warf mir die Haare über die Schultern und sah im Spiegel, wie sie sich gegen meine Haut abhoben. Wunderbar. Danke, Mom. Nan besaß ein Foto von ihr und ich sah genauso aus wie sie. Schwarze Haare, grüne Augen, und das Eigenartigste: Wir hatten ein rotes Muttermal an exakt der gleichen Stelle. Ich überlegte immer noch, ob ich es mir weglasern lassen sollte. Es befand sich auf meinem linken Wangenknochen und sah aus wie … na ja, das kam offen gestanden darauf an, wie viel man getrunken hatte. Manchmal wie eine Distelblüte, manchmal wie der Fußabdruck eines Tiers (Racey würde sagen, wie der eines kleinen Faultiers mit drei Zehen) und ab und zu auch wie eine Schwertlilie. Und meine Mom, die bei meiner Geburt gestorben war, hatte genau das gleiche Mal gehabt. Bizarre, n’est-ce pas?
    Ich wollte gerade zurück in die Kabine, als ich spürte, ja

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