Ein Kelch voll Wind
ihn noch intensiver wirken ließen.
»I ch bin neu in der Stadt«, sagte er und er hatte einen französischen Akzent. Gott steh mir bei.
»U nd wie gefallen dir die Attraktionen der Stadt?«, fragte ich und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee.
Er sah mich an, als würde er sich vorstellen, wie ich mit ihm irgendwo auf die Erde sank und was wir dann dort tun würden. Mein Herz klopfte schneller.
Es war so beängstigend. Und so aufregend.
»S ehr gut«, sagte er und hatte die Zweideutigkeit genau verstanden. Er nahm sein Glas und trank ebenfalls. »I ch bin André.«
Ich lächelte. »C lio.«
»C lio«, wiederholte er. Mit seinem französischen Akzent klang mein Name unglaublich. Ich konnte ein bisschen Französisch, genau wie meine Großmutter. Unser gesamter Kult wurde, wie vor Hunderten von Jahren, auf Französisch überliefert. Aber ich hatte keinen Akzent. Also, außer einem amerikanischen natürlich. »S ag mal, Clio«, sagte er, während er sich über den kleinen Tisch zu mir herüberbeugte. »B ist du das, was du scheinst? Wäre es gefährlich für mich, dich… zu kennen?«
»J a. Und nein«, sagte ich fest und log doch wie gedruckt. Ich hatte keine Ahnung, was ich »z u sein schien«, und auf gar keinen Fall würde ich ihm sagen, ich sei gefährlich, denn ich hatte nicht vor, ihn jemals wieder gehen zu lassen. »U nd was ist mit dir?«, fragte ich und hatte das Gefühl, mich auf einem sehr schmalen Grat zu bewegen. »W ärst du für mich gefährlich?«
Er lächelte und ich fühlte, wie mein Herz einen Schlag aussetzte. In diesem Moment hätte ich ihm am liebsten die Hand hingestreckt und mich von ihm in die große, weite Welt entführen lassen. Dafür hätte ich sogar mein Zuhause zurückgelassen, meine Großmutter, meine Freunde. »J a, Clio. Es ist gefährlich für dich, mich zu kennen.«
Ich erwiderte seinen Blick und fühlte mich vollkommen verloren. »G ut«, brachte ich aus trockener Kehle hervor.
Ein Ausdruck des Erstaunens huschte über sein gut aussehendes, hingemeißeltes Gesicht und dann fing er an zu lachen. Er umschloss meine Hand. Kleine elektrische Blitze durchzuckten mich und brachten meinen ganzen Körper zum Kribbeln. Er drehte meine Handfläche nach oben und sah sie an. Langsam fuhr sein Finger die Linien nach, als wolle er mein Schicksal lesen. Schließlich zog er einen Stift hervor und schrieb eine Telefonnummer in meine Hand.
»L eider bin ich schon spät dran«, sagte er in einer Stimme, die etwas so Intimes, so Privates hatte, als wären wir allein im Botanika. Er stand auf– er war groß– und legte ein wenig Trinkgeld auf den Tisch. »A ber das ist meine Nummer und eins sag ich dir: Wenn du nicht anrufst, komme ich und finde dich.«
»W ir werden sehen, okay?«, erwiderte ich cool, doch in Gedanken veranstaltete ich einen ekstatischen Siegestanz. In seinen Augen flackerte etwas und mein Atem wurde flach. Einen Moment darauf war es verschwunden, und ich fragte mich, ob ich mir das Ganze nur eingebildet hatte. »J a«, sagte er verdächtig mild. »D as werden wir.« Er drehte sich um, ging mit langen, lockeren Schritten zur Tür und drückte sie auf. Ich beobachtete, wie er an dem Flachglasfenster vorbeiging, und musste mich zurückhalten, um nicht aufzuspringen und ihm hinterherzurennen.
Racey setzte sich in den Stuhl mir gegenüber. »A lso?«, sagte sie. »W ie war er? Fandst du ihn okay?«
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte, und atmete tief aus. »M ehr als okay.« Ich öffnete meine Faust und zeigte Racey die Nummer, die er mir auf die Handfläche geschrieben hatte.
Racey blickte mich ungewöhnlich feierlich an.
»W as ist?«, fragte ich. »S o hab ich dich noch nie gesehen.«
»J a«, sagte sie und wich meinem Blick aus. »K eine Ahnung. Weißt du, normalerweise sehen wir einen Typen und bamm! wissen wir, wie wir ihn einzuschätzen, wie wir mit ihm umzugehen haben– keine Überraschungen, verstehst du? Die sind alle irgendwie gleich. Aber er… keine Ahnung«, sagte sie wieder. »I ch meine, irgendwie habe ich ein komisches Gefühl bei ihm.«
»N icht nur du«, sagte ich und blickte auf die Telefonnummer in meiner Hand.
»E s war, als würde ich sofort wissen, dass er… wirklich anders ist«, beharrte Racey.
Ich sah sie interessiert an. Im Zirkel war sie eine der besten Hexen unserer Altersgruppe und abgesehen davon meine liebste Freundin. Ich vertraute ihr voll und ganz.
»A uf eine schlechte Art anders?«, fragte
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