Ein Kerl macht noch keinen Sommer
Finger in die Richtung, in der er Charles vermutete.
Laura sah von Grace zu ihrem Vater. Ihr war völlig unverständlich, wieso er sich so benahm und woher dieser Hass auf einmal gekommen war. Vor zwei Minuten war doch noch alles in bester Ordnung gewesen.
»Dad, was ist denn los mit dir?«
Gordon lachte, als seien alle in diesem Haus schwer von Begriff. »Na ja«, wandte er sich an seine Tochter, »ich kann nur sagen – ein Glück, dass du nicht noch mehr Gören hast!«
»Gordon!«, schrie Grace entsetzt auf.
Laura brach in Tränen aus. Es war mehr als grausam, und Grace ergriff sofort Partei für ihre Tochter.
»Gott möge dir das verzeihen, Gord …«
Aber Gordon war nicht in der Stimmung, zuzuhören. Er packte seine Tochter unsanft am Arm.
»Raus mit dir!«, tobte er. Grace trat einen Schritt vor, um sich zwischen Vater und Tochter zu stellen, und wurde gegen den Tisch geschubst, wo eine Tasse umkippte und ihren Rock mit kaltem Tee bekleckerte.
»Mum, alles okay mit dir?« Laura kam jetzt vor, um ihrer Mutter zu helfen.
»Laura, Schatz, geh schon.« Grace schob Laura aus dem Haus in Sicherheit. »Es geht mir gut.« Obwohl es ihr alles andere als gut ging – die schlimmsten Emotionen spielten in ihr verrückt, aber am wichtigsten war es ihr jetzt, ihre Tochter aus dieser entsetzlichen Atmosphäre und vor noch mehr hässlichen, verletzenden Worten in Sicherheit zu bringen.
Grace schloss die Tür und wandte sich zu ihrem Mann um, der jetzt beängstigend still und schwer keuchend dastand. Er sah aus wie eine Bombe, die jeden Augenblick explodieren könnte, eine gefährliche, gemeine Bombe voller Nägel und brennendem Zucker, um möglichst schweren Schaden anzurichten.
»Hast du das gewusst? Hast du gewusst, dass er ein Neger ist?«
»Hör schon auf, Gordon. Hör auf, so zu reden!«
Gordon schüttelte fassungslos den Kopf und starrte Grace an, als sei sie von allen guten Geistern verlassen. »O verdammt, die Welt ist wirklich verrückt geworden.«
Er stürmte aus dem Haus, zweifellos zu der tröstlichen Ruhe seines Schrebergartens, und ließ Grace noch immer unter Schock im Haus zurück. Ihr Herz hämmerte wie wild, und sie zitterte am ganzen Körper. Sie hatte nicht gewusst, dass dieser Mann so fluchen und hassen konnte wie jemand aus den Südstaaten in den Zwanzigerjahren. Ja, sie hatte im Laufe der Jahre schon so manches Mal erlebt, wie sein Temperament mit ihm durchging, aber noch nie in einem solchen Ausmaß, wie sie es in letzter Zeit immer öfter sah. Und jetzt waren offenbar schon zwei ihrer Kinder nicht mehr willkommen in ihrem Elternhaus. Was kommt als Nächstes?, fragte sie sich, noch immer zitternd, während sie die Reste der Tasse zusammenkehrte, ein Geschenk von Sarah mit der Aufschrift »Der beste Dad der Welt.«
Achtunddreißigstes Kapitel
A ch, komm schon her, du bist ja zu nichts zu gebrauchen«, sagte Elizabeth Silkstone und streckte die Hand aus, um den Knoten an der Krawatte ihres Mannes zurechtzurücken, als sie eben die Kirche betreten wollten. John Silkstone war ein großer Mann, der im Anzug sehr gut aussah. Sie bekam noch immer weiche Knie, wenn sie ihn im Anzug sah. Ihr war bewusst, dass er sie gebannt anstarrte, während sie seinen unbeholfenen Versuch löste und noch einmal von vorn anfing.
»Was starrst du mich denn so an?«, fuhr sie ihn an.
»Tue ich doch gar nicht«, log er. Hätte sie in dem Augenblick nicht den Mund aufgemacht, dann hätte er ihr von seinem dringenden Verdacht erzählt, dass Raychel Love, die Frau seines neuesten Mitarbeiters, des jungen Ben, nah mit ihr verwandt war – dass sie möglicherweise das Kind ihrer Schwester war, die seit fast dreißig Jahren vermisst wurde. Er brannte darauf, etwas zu sagen. Aber das wäre nicht fair, nicht heute. In weniger als einer halben Stunde würden sie an der Hochzeit ihrer Freundin Helen teilnehmen. Helen heiratete einen feinen Rechtsanwalt, Teddy Sanderson – obwohl, vielleicht doch nicht so fein, hatten sie gewitzelt, als sie erfuhren, dass Helen ihm das Jawort mit einem fünf Monate alten Sohn im Bauch geben würde.
Was John zu sagen hatte, würde erst einmal warten müssen. Alles zur rechten Zeit und am rechten Ort – und jetzt war keines von beidem.
Neununddreißigstes Kapitel
G ott, habt ihr gestern Abend diese Sendung im Fernsehen gesehen?«, fragte Dawn, als sie nach dem Wochenende ins Büro gestürmt kam. Ihre nächsten Worte richtete sie an Anna: »Wenn du gedacht hast, du hättest ein
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