Ein Kind, das niemand vermisst
Cunningham beiläufig.
»Nein, ich nehme nur Freundschaftsanfragen an, von Leuten, die ich kenne.«
»Und Chloe? Ist sie bei irgendwelchen Seiten angemeldet oder hat Chatkontakte?«
»Keine Ahnung. Aber sie hat einen Twitteraccount. Wegen diesem Justin Bieber, den sie so toll findet. Sie hat mich den ganzen Tag genervt, bis ich ihr endlich gezeigt habe, wie man das macht.«
»Wie lautet denn ihr Twittername?«
»Blizzard_Chloe«, antwortete Libby sofort.
»Hat der Name irgendeine Bedeutung?«
»Sie wollte nur Chloe als Namen, aber der war natürlich schon belegt. Und da sie manchmal wie ein verdammter Blizzard durchs Haus rennt, hab ich ihr den vorgeschlagen und ihr hat es gefallen.« Sie zuckte die Schultern.
Cunningham stieg ins Auto und knallte die Fahrertür zu. »Das gibt es doch nicht, dass niemand weiß, wo das Kind sein könnte!«
Haines räusperte sich. »Und wenn sie dem Mörder genau in die Arme gelaufen ist, als sie Jayden besuchen wollte? Vielleicht war es jemand, der sie kannte.«
Cunningham dachte einen Augenblick lang nach. »Sie meinen, er hat sie vor der Wohnung abgefangen und überredet mit ihm zu gehen?«
Haines nickte.
»Vielleicht ist sie aber auch bei ihrem Vater?«
Cunningham schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad und fluchte laut. »Das ist doch nicht zu fassen, da verschwindet ein kleines Mädchen und die Mutter meldet es nicht vermisst und keiner, nicht einmal die eigene Familie kennt sie gut genug um uns einen Hinweis geben zu können, bei wem sie sein könnte. Sie ist zehn! Als meine Töchter zehn waren, kannte ich ihre fünf besten Freunde mit vollem Namen, ich wusste, wo sie wann zum Spielen waren, in welcher Eisdiele sie ihr Eis holten und wo sie sich am liebsten aufhielten.«
»Vielleicht suchen wir an der völlig falschen Stelle«, warf Haines ein, als Cunningham den Motor startete. Sie griff in die Innentasche ihrer Jacke und zog ein Smartphone heraus. »Mal sehen, was uns dieser Twitter Account sagen kann.«
Cunningham gab einen undefinierbaren Laut von sich und bog auf die Hauptstraße.
»Volltreffer!«
»So?«
»Sehen Sie?« Sie hielt ihm das Handy vors Gesicht, doch er schob es mit der flachen Hand zur Seite.
»Sehen Sie nicht, dass ich fahre?«
»Entschuldigung. Ihr letzter Tweet ist an einen gewissen Richie gerichtet und lautet: 'Wo bist du? Melde dich bitte. Dringend.' Geschrieben vor zwei Stunden.«
»Was?« Cunningham fuhr an den Straßenrand und hielt, dann nahm er Haines das Smartphone aus der Hand und starrte auf das Display.
»Ich geb's an die Computerspezis weiter. Die finden sicherlich die IP-Adresse raus. Und die von diesem Richie.«
Es war fast einundzwanzig Uhr, als Cunningham nach Hause kam. Seine Frau Gemma saß alleine vor dem Fernseher, in der Hand ein Glas Rotwein.
»Bekomme ich auch eins?«, fragte er, küsste sie auf die Stirn und ließ sich laut seufzend neben sie auf die Couch fallen. »Wo sind die Kinder?«
»Ethan ist noch bei einem Freund, er müsste aber jeden Augenblick zurück kommen. Die Mädchen sind oben«, erwiderte Gemma, während sie ihrem Mann ein Glas Wein einschenkte.
Er hatte es gerade an die Lippen gesetzt, als sein Handy klingelte. »Verdammt!«
Gemma lächelte mild und stellte den Fernseher leiser.
»Sir, hier ist DS Jeff Gabler. Wir haben die IP Adressen der beiden Twitteraccounts heraus gefunden. Das Mädchen hat heute Nachmittag aus einem Internet Café in Manchester den Tweet abgeschickt. Wir haben die Kollegen vor Ort bereits informiert. Der andere Account gehört einem Richard McMiller. Zu seiner Adresse wurden Beamte geschickt, um ihn wegen des Mädchens zu befragen.«
»Wo wohnt er?«
»Mancheser, Sir.«
»Danke sehr, Gabler. Wir brauchen die Überwachungsvideos aus dem Bus nach Manchester, um zu wissen, wann sie dahin gefahren ist.«
»Ich kümmere mich drum.«
Cunningham legte auf und nahm einen großen Schluck Wein.
»Wer hätte gedacht, dass uns Twitter dabei hilft ein vermisstes Mädchen zu finden.«
»Twitter?« Gemma verzog den Mund. »Mia hat den halben Abend damit verbracht über diese dämliche neue Fernsehshow zu twittern. Ich konnte sie kaum zum Abendessen überreden.«
Cunningham strich Gemma eine Strähne aus dem Gesicht. »Wie haben wir damals bloß unsere Freizeit verbracht?« Er stellte das Glas beiseite, stand auf und schlenderte zum Fenster. »Hat Ethan angerufen und gesagt, dass es später wird?«, fragte er so beiläufig wie möglich, während er
Weitere Kostenlose Bücher