Ein Kind, das niemand vermisst
unbesetzten Pförtnerhäuschens, saßen zwei ältere Damen in Korbstühlen und strickten. Sie nickten Cunningham und Megan freundlich zu.
Die schwere Eichentür stand offen, so dass ein bisschen Sonnenlicht in den den dunklen Eingangsbereich fiel, der mit seinen hellen Korbmöbeln und bunten Kunstblumen recht freundlich und einladend wirkte.
Hinter einem Empfangstresen saß eine rundliche Frau mit schwarzen Haaren und Lesebrille und sortierte Karteikarten. Sie schien ganz in ihre Arbeit vertieft und blickte nicht einmal auf.
»Ich habe vorhin angerufen«, sagte Cunningham und hielt der Dame seinen Dienstausweis unter die Nase.
»Noras Zimmer ist im ersten Stock, Zimmer drei.«
Megan machte sich bereits auf den Weg zur Treppe, doch Cunningham zögerte. »Müssen wir irgendetwas beachten?«
Die Frau am Empfangstresen blickte ihn mit ausdrucksloser Miene an.
»Sie ist doch nicht ohne Grund hier«, merkte Cunningham an.
»Was Sie nicht sagen.« Die Frau widmete sich wieder ihren Karteikarten, ließ eine davon fallen und hob sie fluchend auf.
»Ich meine damit, ob ich auf irgendetwas-«
»Ich weiß sehr wohl was Sie meinen.«
Cunningham rollte mit den Augen. »Schön. Also kann ich ihr einfach beliebig viele Fragen stellen, oder wäre es vielleicht angeraten, dass eine Schwester oder ein Arzt anwesend ist?«
»Dr. Arthur ist bereits oben und wird schon darauf achten, dass Sie Nora nicht zu sehr zusetzen.«
Kopfschüttelnd folgte Cunningham Megan die Treppe hinauf in den ersten Stock. »Wer hat denn die bloß eingestellt«, zischte er ihr zu, als sie den Flur nach der richtigen Zimmertür absuchten.
Dr. Arthur entpuppte sich als eine hochgewachsene Blondine Anfang vierzig, die auf einen Arztkittel verzichtet hatte und stattdessen ein geblümtes Sommerkleid und rote Pumps trug. Freudestrahlend begrüßte sie die beiden Polizeibeamten mit festem Händedruck und deutete auf zwei Ohrensessel. Sie selbst blieb am Fenster stehen.
Erst beim Hinsetzen bemerkte Cunningham die zierliche, gebrechlich wirkende Frau auf dem Bett gegenüber. Sie saß auf der Bettkante, die beiden Hände fest um den Bettpfosten geschlungen, als befürchtete sie er könne abfallen.
Ihr braunes Haar war mit grauen Strähnen durchzogen. Sie blickte zu Boden, die Lippen fest zusammen gepresst.
»Nora ist immer ein wenig ängstlich, wenn fremde Leute hierher kommen.«
»Bekommt Sie denn oft Besuch von Fremden?«, fragte Megan
Die Ärztin sah sie stirnrunzelnd an. »Nein. Ich meinte damit Handwerker oder neues Personal. Sie verlässt ihr Zimmer kaum, denn die Besucher der anderen Patienten machen ihr Angst.«
»Seit zehn Jahren lebt Sie hier?«, fragte Cunningham
Die Ärztin nickte.
»Mrs Moss«, begann Cunningham und die zierliche Frau zuckte sofort zusammen und begann zu wimmern. Dr. Arthur setzte sich zu ihr und streichelte ihr behutsam über den Rücken. »Sie brauchen keine Angst zu haben, Nora. Der nette Polizist will Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Dann geht er auch wieder.«
»Fragen?« Die Stimme war kaum mehr als ein Flüstern
»Über ihr Haus und ihren Garten«, versuchte es Cunningham erneut. Dieses Mal zuckte sie nicht zusammen. Für einen kurzen Augenblick sah sie ihn an.
»Haus. Ein schönes Haus. Mein Sohn hat so gerne im Garten gespielt.« Sie sprach langsam und immer noch sehr leise.
»Wie viele Kinder haben Sie?«, fragte Cunningham.
»Kinder?« Sie sah zu Dr. Arthur hoch. »Ich kann Ihnen nichts erzählen, das kann ich nicht.«
»Schon gut. Alles wird gut. Sie müssen nur das erzählen, was sie möchten, in Ordnung?«
Megan räusperte sich.
»Haben Sie mehr als nur ein Kind geboren Mrs. Moss?«
»Es waren gute Kinder. So gute Kinder.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dr. Arthur stand auf.
»Nora hatte zwei Fehlgeburten. Vor etwa fünfzehn Jahren. Damals fingen die ersten Symptome an.«
»Gibt es darüber medizinische Unterlagen?«
»Ich nehme es an.«
»Sie können also nicht mit Sicherheit sagen, dass es wirklich diese Fehlgeburten gegeben hat?«
Dr. Arthur verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich wieder vor das Fenster. »Wieso fragen Sie nicht Noras Mann. Er hat sie damals beide Male zum Arzt gefahren.«
»Mrs Moss. In ihrem Garten haben wir die Überreste eines toten Kindes gefunden.«
Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ihn an, dann sprang sie auf und stürmte auf ihn zu. Ehe er reagieren konnte, hatte sie seine beiden Handgelenke umfasst und zerrte an ihnen. »Ich
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