Ein Kind, das niemand vermisst
ja? Ich wette die Mädchen sind ganz aufgelös.t«
Sie zögerte. »Ich hab ihn noch nie so erlebt, Ben.« Tränen rollten ihre Wangen hinab.
»Es ist bestimmt nur halb so schlimm«, versuchte er sie beruhigen. Doch in seinem Magen hatte sich bereits ein so großer Stein ausgebreitet, dass er fürchtete sich jeden Moment übergeben zu müssen. Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Es wird alles in Ordnung kommen«, sagte er und ging ins Haus. Als er sich umdrehte, sah er, dass Gemma zum gegenüberliegenden Haus lief. Die Tür wurde geöffnet und eine mollige Frau mit lockigen Haaren winkte sie ins Haus. Abby wohnte erst seit einem Jahr in der Nachbarschaft, aber Gemma und sie hatten sich sofort angefreundet. Er winkte beiden Frauen kurz zu, dann schloss er die Haustür hinter sich. Einen Moment lang verharrte er im Flur, dann beschloss er die Haustür abzuschließen und steckte den Schlüssel in seine Jackentasche. Mit einem Kloß im Hals riskierte er einen Blick ins Wohnzimmer. Die Stühle vom Esszimmertisch lagen quer verteilt im Raum. Von einem war das Bein abgebrochen. Die Gardine am Fenster war herunter gerissen worden und lag in einer Kaffeepfütze vor dem Fenster. Die Couch war ein Stück verrückt worden, doch sie schien unversehrt. »Oh, Ethan!«, murmelte er.
Sein Herz raste und er spürte wie kleine Schweißperlen seinen Nacken hinab rannen, als er die Treppe hoch lief und an Ethans Zimmertür klopfte.
»Ethan! Mach sofort die Tür auf!«
Keine Reaktion. Er legte sein Ohr an die Tür, doch das Einzige, was er hörte, war das Rauschen seines Blutes in den Ohren.
»Ethan, bitte!«
Nach kurzer Überlegung, nahm er Anlauf und trat die Tür ein, die krachend aus den Angeln flog.
Ethan saß auf dem Fußboden an sein Bett gelehnt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Vater an.
Er trug einen Kapuzenpullover, der voller Dreck war. Die Jeanshose war an den Knien aufgerissen und die Ränder blutverschmiert. Cunningham vermutete, dass er mit dem Fahrrad hingefallen war.
»Was ist los?«
Ethan zuckte mit den Schultern, wandte seinen Blick ab und starrte auf das Teppichmuster.
»Steh auf!«
»Lass mich in Ruhe, Dad.«
»STEH AUF!«
Wütend funkelte Ethan seinen Vater an, aber er rappelte sich vom Boden auf und torkelte einen Schritt zur Seite, bis er mit der Hüfte gegen den Schreibtisch stieß.
»Was zum Henker ist los mit dir?«
»Nix. Was soll sein?«
Cunningham spürte, wie Wut ihn hoch kroch.
»Wie viel hast du getrunken?«
»'n paar Bier und Wein. Und? Macht doch jeder.«
»Woher hast den Alkohol?«
Ethan lachte laut, verlor den Halt und knallte mit dem Rücken gegen den Kleiderschrank.
»Kumpels eben.«
»Und dann dachtest du, es ist eine gute Idee dich zu betrinken, nach Hause zu fahren und das Wohnzimmer zu Kleinholz zu verarbeiten, und dabei deiner Mutter und deinen Schwestern Todesangst einzujagen.«
»Übertreib' mal nicht.«
»Du hast deine Mutter geschubst!«
Ethan blickte zu Boden. »Das wollte ich nicht. Sie kam einfach dazwischen.«
Cunningham schüttelte den Kopf. »Das geht so nicht, Ethan. Ich...du kannst nicht völlig betrunken nach Hause kommen und dich aufführen wie die Axt im Wald.«
»Ist doch eh alles scheißegal!«, schrie Ethan. Seine Stimme brach und er sackte zu Boden.
Cunningham starrte ihn mit offenem Mund an.
»Ich kann nicht schlafen! Weißt du wie das ist, wenn man seit Wochen nicht schlafen kann? Ich habe Angst vor einem Mädchen und ich kann mit niemandem drüber reden, weder mit dir, noch mit Mum, noch mit meinen Freunden.«
»Du kannst mit mir und Mum reden«, sagte Cunningham leise. »Wie kommst du auf die Idee, dass du das nicht könntest?«
»Die Jungs in meiner Schule reißen ständig Witze über Evanna, und ich könnte mir jedes Mal in die Hose machen, wenn ich daran denke, wie sie mir das Messer an die Kehle gehalten hat. Aber wenn ich mir was anmerken lasse, mache ich mich zur Witzfigur und...und...« Er schluckte und wischte sich hastig die aufkommenden Tränen aus den Augen.
»Ich will keine Witzfigur sein. Ich will das einfach nur vergessen.«
Cunningham kniete sich zu ihm und strich ihm sanft über den Kopf. »Es tut mir so leid«, sagte er. Eine Weile saßen beide schweigend da und starrten das bunte Teppichmuster an. Nach einer Weile räusperte sich Cunningham, legte eine Hand unter Ethans Gesicht und zwang ihn so ihm in die Augen zu sehen.
»Wir werden eine Lösung
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