Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
was auch nicht erwünscht war, denn es handelte sich um eines jener Intourist-Vehikel, die fast ausschließlich very important persons vorbehalten waren. Im Fond saß ein einsamer Fahrgast, dessen Blicke natürlich von dem Polizeiaufgebot und dem zur Strecke gebrachten Wild angezogen wurden. Für den Fahrgast waren derartige Szenen nichts Neues, und er wollte den Blick schon abwenden, als er sah, wie Ada in die schwarze Sim-Limousine bugsiert wurde. Er reagierte sofort. Der Wagen war inzwischen schon ein ganzes Stück weitergefahren, als ein heftiges Klopfen an der Glasscheibe den Fahrer zum Halten veranlaßte. Er wurde angewiesen zu wenden und weitere Instruktionen abzuwarten.
Am liebsten hätten die KGB-Leute ihre Gefangenen auf der Stelle in das Ljubjanka-Gefängnis geschafft, aber selbst das KGB hatte gewisse Vorschriften und Richtlinien zu beachten, und da die beiden Frauen keines Schwerverbrechens bezichtigt werden konnten, sondern höchstens einer kleinen Gesetzesübertretung, und dazu noch Ausländerinnen waren, schien es nicht ratsam, sie so ohne weiteres hinter Schloß und Riegel zu setzen. Der korrekte Weg war wohl der, sie aufs nächste Polizeirevier zu bringen und wegen unerlaubten Besitzes von Flugblättern in Gewahrsam zu nehmen; daraufhin konnte das KGB sich einschalten.
So wurde es beschlossen, und man fuhr mit den beiden Frauen ein paar Häuserblocks weit zum nächsten Revier. Der Intourist-Wagen setzte sich ebenfalls in Bewegung und fuhr hinterher.
Auf das, was sie wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel getroffen hatte, reagierte jede der beiden Frauen völlig anders, als man vorher angenommen hätte. Mrs. Butterfield hatte von dem Augenblick an, wo die Maschine der Aeroflot auf der vertrauten, sicheren Heimaterde gestartet war, auf etwas dieser Art gewartet, Mrs. Harris aber nicht. Demzufolge war es jetzt Ada, die sich mehr fürchtete als Violet. Hätte sie sich doch bloß nie dazu verleiten lasse, Mr. Lockwoods Liebesbrief zu befördern, oder vielmehr das Schreiben, von dem Mr. Lockwood behauptete, es sei ein Liebesbrief; da der Brief in russischer Sprache abgefaßt war, konnte sie ihn nicht lesen, und vielleicht hatte Mr. Lockwood all die honigsüßen Floskeln überhaupt nur erfunden. Wenn es in diesem Land bereits als Verbrechen galt, einer Gruppe von umherziehenden Heilssängern zuzuhören und einen Wisch in der Hand zu halten, auf dem die jungen Leute ihren religiösen Überzeugungen Ausdruck gaben... welche Strafen hatte sie dann wohl zu gewärtigen, wenn die Russen dahinterkamen, daß sie ungeachtet der strengen Vorschriften einem illegalen Briefwechsel mit einer Sowjetbürgerin Vorschub leistete? Und dahinterkommen würden sie, denn obwohl Ada vor wenigen Tagen ihr notwendig erscheinende Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, befand sich der verhängnisvolle Brief im Augenblick wieder in ihrer Handtasche, die bestimmt gründlich durchsucht werden würde. Sie vertraute auf ihre Zivilcourage und machte sich keine weiteren Gedanken darüber, was mit ihr geschehen mochte, aber sie war zutiefst verzweifelt, wenn sie daran dachte, in welche Lage sie ihre Freundin durch ihr Verhalten gebracht hatte, das ihr jetzt als törichte Phantasterei und überflüssige Einmischung in die Angelegenheiten anderer erschien.
Alle Polizeireviere der Welt gleichen sich mehr oder weniger. Es riecht überall gleich schlecht, und in der Kargheit der Ausstattung unterscheiden sie sich ebenfalls nicht voneinander.
Normalerweise hätte der diensthabende Polizeibeamte auf der Polizeiwache die beiden Frauen verhört, doch angesichts des KGB-Aufgebots und der offensichtlichen Gewichtigkeit des Falls wurden sie in ein Nebenzimmer geschoben, in dem ein Tisch und einige Stühle standen. Es handelte sich um den Dienstraum des Revierleiters, in dem sich auch ein Dolmetscher befand. Oberst Dugliew, Inspektor Wornow und ein halbes Dutzend weiterer KGB-Chargen drängten sich hinter Ada und Violet ebenfalls in das Zimmer.
Der Dolmetscher wandte sich an die Verhafteten:
«Wir setzen Sie hiermit davon in Kenntnis, daß Ihre Festnahme erfolgte, weil Sie gegen die Gesetze unseres Landes verstoßen haben, die die illegale Einfuhr von religiöser Literatur einschließlich Büchern, Bildern und Traktaten verbieten sowie solcher Flugblätter, in deren Besitz Sie angetroffen wurden. In den Instruktionen von Intourist, die Ihnen außerdem noch mündlich von ihrer Fremdenführerin wiederholt worden sind, heißt es eindeutig,
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