Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
ein.
Mrs. Harris war entzückt, denn sie hörte englische Laute und eine ihr seit Kindheitstagen vertraute Melodie. «Ach, ist das aber schön», sagte sie. «Wer hätte gedacht, daß uns hier in Moskau so etwas begegnet? Komm, Vi, laß uns mitsingen.» Laut und vernehmlich stimmten sie in den Gesang ein. Die Umstehenden blieben stumm, waren jedoch fasziniert, wie Russen es fast immer von Musik sind.
Das Lied war zu Ende; es folgte eine kurze Predigt, in der es hieß, der Mensch solle sein Vertrauen in die Liebe Gottes setzen. Dann kam das Lied Die Gruppe der Evangelisten vollführte eilends ein Zauberkunststück, das nur die Frucht langjähriger Erfahrung und Routine sein konnte. In Windeseile drückten sie jedem der Zuschauer ein Flugblatt in die Hand, stürzten sich in ihre alte Klapperkiste und brausten los. Im Handumdrehen waren sie verschwunden. Die Umstehenden nahmen sich ein Beispiel an ihnen und machten sich ebenfalls aus dem Staub. Als die beiden schwarzen Wagen am Bordstein hielten, standen nur noch Mrs. Harris und Mrs. Butterfield da und studierten höchst interessiert ihre Flugblätter.
Billiges Papier und schlechter Druck erschwerten die Lesbarkeit, doch die Botschaft war klar und verständlich.
SETZT EUER VERTRAUEN IN DEN HERRN, DENN ER WIRD DIE SÜNDER MIT SEINEM FLAMMENSCHWERT DAHINSTRECKEN, IHR ABER WERDET UNTER DEN SELIGEN SEIN! VERLASSET JESUS NICHT, SO WIRD ER EUCH NICHT VERLASSEN. BRINGT EUREN RUSSISCHEN BRÜDERN DIE BOTSCHAFT DER FREUDE, DENN DER HERR, EUER STECKEN UND STAB, IST NAHE.
Die zweite Botschaft lautete schon ein wenig schärfer und angriffslustiger:
DULDET KEINEN UNGLÄUBIGEN IN EURER MITTE, DENN JESUS, UNSER HERR, IST BEREIT, IHN ZU ZERSCHMETTERN. HALTET DEN GLAUBEN HOCH, LASST DIE SÜNDEN NICHT OBSIEGEN, WECKT NICHT DEN ZORN DES HERRN GEGEN DIE, SO IHN LEUGNEN. BETET, AUF DASS SEIN LICHT DIE NACHT UND DIE FINSTERNIS DIESES LANDES DURCHDRINGE.
Ganz unten auf dem Blatt war in winziger Schrift zu lesen: «Evangelische Missions- und Bibelgesellschaft , 31 Stratton Street, Victoria, London SW 1. Reverend R. W. Ploomer, D.D., R.D.D.»
Bis hierher war Ada gekommen, und sie sagte gerade: «Also so was. Stratton Street, das ist ja direkt bei meiner Mrs. Bingham um die Ecke. Ich bin Reverend Ploomer schon oft auf der Straße begegnet, ein gutaussehender großer Mann mit grauem Haar...», als den beiden schwarzen Wagen russische Gesetzeshüter aller Art entstiegen und Mrs. Harris und Mrs. Butterfield vom Fleck weg verhafteten, weil sie sich im Besitz religiöser, von Ausländern ins Land geschmuggelter Traktate befanden, die aufwieglerische, die Innere Sicherheit der UdSSR bedrohende Unterstellungen und Behauptungen enthielten. Die beiden Frauen, die die Corpora delicti nach wie vor in der Hand hielten, waren wie vor den Kopf geschlagen, denn außer ihnen war weit und breit sonst niemand zu sehen. Alle anderen Zuschauer hatten ihre Flugblätter rasch zusammengeknüllt und auf die Straße geworfen, wo der Wind sie hochwirbelte und in den Rinnstein trieb.
Ein ganzes Heer von Polizeibeamten war auf Ada und Violet angesetzt. Darunter befanden sich nicht nur Gregor Michailowitsch Du-gliew und Waslaw Wornow, sondern auch ein höherer KGB-Funktionär, dem das Dossier über die beiden angeblichen Agentinnen bekannt war. Zu seiner Erleichterung brauchte bei der Verhaftung keiner von seinen Leuten in Aktion treten, was bestimmt wieder, da es sich um Ausländer handelte, irgendwelche negativen Reaktionen in der westlichen Presse zur Folge gehabt hätte. So wie die Dinge lagen, konnte ein ganz gewöhnlicher Polizist das Paar wegen unerlaubten Besitzes von religiöser Literatur verhaften — ein vergleichsweise harmloses Vergehen. Hauptsache war, daß das KGB sie geschnappt hatte.
Zunächst wußten die beiden Frauen nicht, worum es sich handelte, da nur russisch gesprochen wurde, doch als der Polizist auf das Belastungsmaterial deutete und sagte: «Verbotten! Verbotten! Sie verhaftet, Sie mitkommen!», ging ihnen ein Licht auf, und gleich darauf befanden sie sich im Fond eines der großen schwarzen Wagen.
In diesem Augenblick geschah etwas, was man vielleicht als Zufall ansehen muß. Weder die Leute vom KGB noch Ada und Violet schenkten einem vorbeifahrenden Wagen irgendwelche Aufmerksamkeit,
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